Als verzärteltes Stadtkind, dessen Eltern den Wald nur aus sicherer Distanz oder vom Auto aus beäugten, setzte ich Schwammerlsuchen lange mit Weltraumfliegen und Nordpolforschen gleich. Dafür prägend waren die Geschichten des Onkels, der sich bei jedem Wind und Wetter durch gefährlich nasses Unterholz schlug, immer auf der Suche nach einer Stelle, die den kulinarischen Schatz verbarg. Wenn er anschließend wie in Trance und fein säuberlich selbst die klitzekleinste Tannennadel von seinen Beutestücken putzte, wurde aber klar, dass Schwammerlsuchen eher etwas spektakulär Beruhigendes sein muss. Aller guten Vorsätze zum Trotz begegnen mir die Funghi weiterhin nur am Teller – sollte meine Ältere ihr neu erworbenes Botanikwissen nicht gegen mich verwenden: Breitblättriger Holzrübling, Buckeltäubling, Geschmückter Schleimkopf, Filziger Milchling, Säufernase und Gauklerpilz klingen nämlich viel zu schön, um sie nicht fallweise laut auszusprechen…

In vieler Munde sind Schwammerl und Pilze wohl auch dieser Tage, sie sprießen nahezu inflationär aus dem durchtränkten Boden. Die starken Niederschläge haben ihr Gedeihen begünstigt, weiß der Pilzexperte Gernot Friebes, dem wir heute Spannendes zur Schwammerlsaison entlockt haben. 

Üppiges Wachstum zeigt sich nicht nur am Waldboden, mit maßlosem Überschießen haben wir es seit Monaten auch in der Wirtschaft zu tun. Dort allerdings im negativen Sinn: Die erschreckend hohe Teuerungsrate ist im Sommer zwar gesunken, doch Österreich bleibt unter den Euro-Ländern klarer Spitzenreiter bei der Inflation. Da die seit der Corona-Krise praktizierte Methode, Gutscheine und Einmalzahlungen zu verteilen, an die Grenzen der Finanzierbarkeit gestoßen ist, setzt die Regierung jetzt vermehrt auf Seelenmassage: Man streut Erzählungen von einer rosigen Zukunft unters Volk und hofft so, die miese Stimmung und den Ärger über die steigenden Preise zu vertreiben.

Mit der Prophezeiung, wie viel die Abschaffung der kalten Progression den Steuerzahlern bringen wird, ist dem Finanzminister auch ein propagandistischer Volltreffer geglückt. Magnus Brunner schwärmte von einem „historischen Erfolg“, weil 2024 die Bevölkerung um 3,65 Milliarden Euro entlastet werde. Zugegeben – das Abschaffen der kalten Progression wurde jahrzehntelang quer durch die Parteien gefordert und von etlichen Regierungen vergeblich versprochen. Die langersehnte Umsetzung kann sich diese Koalition nun zwar auf die Fahnen heften, die Erwartungen der Bevölkerung hätte sie dabei aber nicht noch befeuern müssen: Ein Durschnittsverdiener mit einem Bruttogehalt von 3.666 Euro werde 739 Euro „mehr im Börsel“ haben und auch Pensionistinnen und Pensionisten, die jetzt 1.826 Euro bezögen, könnten im nächsten Jahr 707 Euro zusätzlich erwarten, so die Versprechung. Die Realität wird freilich nicht so glanzvoll sein: Wer 2024 in sein Geldbörsel blickt, wird keine zusätzlichen Scheine finden. Denn die 700 Euro sind ein fiktives Geschenk. Jedermann muss unverändert Sozialbeiträge und Steuern abliefern – würden die Steuerstufen nicht inflationsbereinigt angehoben, wären allerdings noch 700 Euro mehr zu berappen.