Warum berichtet Ihr exzessiv über das auf dem Weg zur Titanic verschollene Tauchboot „Titan“, während Euch die Nachricht über ein im Mittelmeer gesunkenes Flüchtlingsboot oft nur ein paar Zeilen wert ist?
Vermutlich bin ich nicht der einzige Journalist, der dieser Tage wenig überraschend mit dieser Frage konfrontiert ist.
In ihr schwingt der Vorwurf mit, dass das Wohl von ein paar superreichen Exzentrikern, die aus Langeweile und sattem Überdruss nach dem besonderen Kitzel suchen, den Medien mehr wert ist als das Leben von hunderten armen Teufeln, die sich auf der Suche nach einem besseren Leben in morschen Kähnen auf den gefahrvollen Weg über das Mittelmeer wagen.
Publizistisch ist der Vorwurf in unserem Fall leicht zu entkräften. Wir haben die jüngste Schiffstragödie im Mittelmeer nicht nur auf die Titelseite gehoben, sondern sogar zum Anlass genommen, das schmutzige Milliardengeschäft der Schlepper näher zu beleuchten. Und natürlich hat die Kleine Zeitung darüber berichtet, als durch die Recherchen von BBC ruchbar wurde, dass die offizielle Darstellung des Ereignisses durch die griechische Küstenwache vom tatsächlichen Ablauf doch in erheblichem Maße abweichen könnte.
So weit, so gut. Und trotzdem! Die grundsätzliche Frage bleibt unbeantwortet. Denn es lässt sich nicht leugnen: Der gigantische Aufwand, der für die Suche nach einem einzigen britischen Milliardär betrieben wird, steht in einem eklatanten Missverhältnis zur Untätigkeit, mit der wir seit langem dem Massensterben im Mittelmeer zusehen. Würde auch nach fünf in der Ägäis vermissten Bootsflüchtlingen eine ganze Armada tagelang hektisch fahnden? Wohl kaum. Nur was folgt daraus? Dass nach ein paar Reichen nicht gesucht werden soll, nur weil sie reich sind?
Ein Elend gegen das andere aufzurechnen, ist immer heikel, vor allem dann, wenn es zwischen den jeweiligen Lebenssituationen der Betroffenen eine so fundamentale Unwucht gibt wie hier, wo die einen buchstäblich im Überfluss schwimmen, während die anderen einer prekären Existenz zu entrinnen suchen, die zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig bietet.
Unser Mitleid gilt instinktiv ganz ihnen, den Verlierern und Verlorenen dieser Welt. Und einem natürlichen Reflex folgend, werden die meisten von uns das Streben saturierter Milliardäre nach dem ultimativen Abenteuer im All oder in den Tiefen der Ozeane für frivol halten. Und doch sollten und dürfen wir es in Fällen wie diesen nicht billig geben.
Aber was sagt eigentlich der Ethiker dazu? „Lieber Stefan, es ist eine komplizierte Sache“, schreibt mir mein Freund, der Philosoph Peter Strasser, den ich in der Sache kontaktiere: „Unserer Kultur liegt die Überzeugung zugrunde, dass jedes Menschenleben gleich viel wert sei. Angesichts der Mittel, die zur Rettung von ertrinkenden Bootsflüchtlingen eingesetzt werden – es sind zuletzt viele Hunderte gewesen –, mutet der riesige finanzielle Aufwand, der zur Suche nach dem verschollenen Tauchboot betrieben wird, moralisch fragwürdig an. Denn die Suche gilt nicht zuletzt einigen Reichen, die es sich pro Person 250.000 Dollar kosten ließen, um bei dem Abenteuer – Besichtigung der 1912 gesunkenen Titanic – dabei zu sein.“
„Ist also die Rede vom absolut gleichen Wert eines jeden Menschenlebens eine leere Phrase, halte ich ihm entgegen“. – „Nein“, erwidert er. „Es geht nicht darum, die Suche nach dem verschollenen Tauchboot abzubrechen, sondern die dabei eingesetzten Mittel – personell und ökonomisch – als Maßstab für die Bergung von Bootsflüchtlingen zu etablieren, wobei der Kampf gegen die Schlepper Priorität genießt. Diese Konsequenz ernst zu nehmen, sollte, als unbedingtes Gebot der Gleichbehandlung, alle Verantwortlichen an ihre Pflicht gemahnen.“
Einen nachdenklichen Donnerstag wünscht mit herzlichen Grüßen Ihr