So flott wie er gelebt hat, wird Silvio Berlusconi beigesetzt. Schon heute findet in Mailand das Staatsbegräbnis statt.

Der „Cavaliere“ war eine schrille Ausnahmeerscheinung, ein mit allen Wassern gewaschener Entertainer, ein Volkstribun, Bajazzo und Populist, der erste seiner Art, der es ganz nach oben bis zum Ministerpräsidenten schaffte und damit zum Prototyp für alle wurde, die nach ihm kamen, von Boris Johnson über Alexis Tsipras bis zu Donald Trump.

Wenn ihm in seinem Leben eine Unternehmung gelang, schrieb dieser Tage der „Corriere della Sera“, dann sei das nicht die Gründung der Privatsender oder einer Partei gewesen, die binnen drei Monaten zur ersten politischen Kraft im Land aufstieg. Berlusconis Bravourstück habe darin bestanden, dass er die Mehrheit der Italiener dazu brachte, sich mit einem wie ihm zu identifizieren. Seine Landsleute glaubten ihm, weil sie sich in ihm wiedererkannten – ihr „Misstrauen gegenüber der Linken, dem Staat, dem Fiskus, den Parteien. Und gegenüber dem Establishment, dem er trotz seines Reichtums und Erfolg zumindest am Anfang nicht angehörte.“

In einem Interview, das ich vor gut zehn Jahren mit Massimo Cacciari bei ihm daheim in Venedig führte, fragte ich den Philosophen und langjährigen Bürgermeister der Lagunenstadt, warum so viele Italiener immer noch den Verführungskünsten von Silvio Berlusconi erlägen? „Weil er uns ähnelt“, antwortete Cacciari ohne eine Sekunde lang zu zögern. „Berlusconi verkörpert einen fundamentalen Wesenszug von uns Italienern: jeder für sich, keiner für das Ganze. Italien, das sind bis heute Individuen, Familien, Körperschaften. Eine italienische Nation hat es nie gegeben. Nie!“

Wir saßen in der mit Büchern vollgeräumten Philosophenwohnung unweit vom Canal Grande. Der Hausherr redete sich in Rage. Das Schlimme sei, dass Berlusconis Gegner nicht viel besser seien. „Sie alle sind Komplizen des Niedergangs. Wo gibt es das sonst auf der Welt, dass Politiker, die über Jahrzehnte ein Land ruiniert haben, noch immer das Sagen haben? Nirgendwo! Nirgendwo!“, schrie er aufgebracht. Anders als bei späteren Interviews, als zwischen uns schon eine gewisse Vertrautheit herrschte, boxte er mich damals aber noch nicht in die Schultern. 

Der Groll über die gut zwanzig sinnlos mit Berlusconi verplemperten Jahre saß und sitzt im intellektuellen Milieu Italiens tief. Für die denkende Zunft war der Bau- und Medienmogul in seiner von einem Ohr zu anderen grinsenden Vulgarität eine Reizfigur, ein rotes Tuch. Und nicht jeder schaffte es, mit dem „Cavaliere“ so subtil abzurechnen wie der neapolitanische Regisseur Paolo Sorrentino. Sein Spielfilm „Loro“ aus dem Jahr 2018 ist die beste Auseinandersetzung mit Berlusconi und zugleich ein Sittenbild der verlotterten italienischen Eliten.

Montagnacht habe ich mir den Streifen noch einmal mit von Minute zu Minute wachsendem ungläubigem Staunen angesehen. Meine Lieblingsszene ist eine Sequenz, in der es der ins Grübeln geratene, vom grandiosen Toni Servillo gespielte, alternde und einsame Milliardär noch einmal wissen will, zum Telefonbuch greift, darin blättert, eine ihm unbekannte Nummer wählt und der alleinstehenden, ebenso einsamen Frau, die sich am anderen Ende der Leitung meldet, schließlich eine teure Fantasiewohnung aufschwatzt.

Berlusconi war der geborene Verkäufer. Das Einzige, was er allerdings im Angebot hatte, war er selbst. Ohne jeden Skrupel hat er dafür Italien zum Diskontpreis verschleudert. Und genau darin, nämlich im veruntreuten Heimatland, liegt die ganze Tragik der von ihm geprägten Ära, die mit seinem Tod nun zu Ende gegangen ist, meint mit herzlichen Grüßen Ihr