Komme gerade vom Frühstücksfernsehen bei Puls 4, wo ich knapp nach sechs Uhr auf der Couch zu Gast war, um von Barbara Fleissner über die verzwickte Lage der SPÖ befragt zu werden, die schwieriger nicht hätte sein können. Die große Hoffnung war, dass mit der Urabstimmung die mehrwöchige Durststrecke, das rote Interregnum beendet wird, die Zeit der Selbstbeschäftigung und Selbstbeschädigung der Vergangenheit angehört und die SPÖ wieder langsam durchstartet. Dazu hätte es eines eindeutigen Ergebnisses bedurft, mit einem Gewinner, der die beiden anderen Mitbewerber eindrucksvoll auf die Plätze verweist. 

Statt klare Verhältnisse zu schaffen, verharrt die SPÖ weiterhin im Schwebezustand. Bei der Befragung der Mitglieder haben sich drei nahezu gleich große Lager herausgebildet, wobei Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil zwar die Nase vorne hat, der Fahnenträger der linken Basis, Andreas Babler, zur großen Überraschung vieler nicht nur die amtierende Parteichefin auf Platz drei verdrängt hat, sondern nur zwei Prozentpunkte hinter Doskozil zu liegen gekommen ist. Während Doskozil nun von Babler einfordert, was er Rendi-Wagner verwehrt hat, nämlich Loyalität, glaubt man im Babler-Lager, den Burgenländer am Parteitag in einer Kampfabstimmung noch aus dem Feld zu schlagen. 

Für die roten Granden, die heute zusammenkommen, um den Linzer Parteitag in knapp zwei Wochen vorzubereiten, kein leichtes Unterfangen: Erklärt man Doskozil heute bereits zum Sieger, der in Linz als neuer Parteichef wie auch als nächster Spitzenkandidaten nur noch formell zu inthronisieren wäre, läuft die SPÖ Gefahr, dass sich die linke Basis von der Partei, insbesondere vom designierten Parteichef abwendet. Welches Potenzial eine Linkspartei hat, dass ein linker Kandidat, ein bis dato völlig unbeschriebenes Blatt, wie ein Phönix aus der Asche aufsteigen kann, weiß man seit der Bundespräsidenten – wie auch der Salzburg-Wahl. Dominik Wlazny und Kai-Michael Dankl lassen grüßen. Auch ist nicht gesagt, dass die roten Delegierten beim Parteitag die Stallorder befolgen. Rendi-Wagner kam beim letzten Parteitag auf desaströse 75 Prozent. Ob Doskozil in Linz, wo übrigens Sebastian Kurz vor ziemlich genau sechs Jahren seine türkise Karriere gestartet hatte, an dieses Ergebnis herankommt, ist offen. Allerdings: Wenn es Spitz auf Knopf steht, hat sich die SPÖ in ihrer Geschichte immer durch eine beeindruckende Disziplin ausgezeichnet und internen Hader hinter sich gelassen. 

Man kann davon ausgehen, dass die anderen politischen Mitbewerber den gestrigen Tag sehr genau mitverfolgt haben. Den Grünen kann nichts Besseres passieren, als wenn die SPÖ mit Doskozil in die nächste Wahl geht. In der ÖVP ging man bisweilen mit der Idee schwanger, dass man die SPÖ am linke Fuß erwischen könnte, wenn man vorgezogene Neuwahlen vom Zaun bricht – eine fatale Überlegung. 2008 erlitt die Volkspartei unter Wilhelm Molterer Schiffbruch. Kaum rief die ÖVP damals Neuwahlen aus, beendete die SPÖ ihre internen Querelen und scharte sich um den neuen Parteichef. Und die FPÖ profitiert aktuell ohnehin von jeder Krise.

Die große Verliererin der Urabstimmung ist freilich die Parteichefin, die heute vormittags ihren Rücktritt verkündet dürfte. Eine bittere Erfahrung für Pamela Rendi-Wagner, die eine Sachpolitikerin war, mit Parteipolitik aber wenig am Hut hatte. Nur: Ohne Macht lassen sich die besten Ideen nicht durchsetzen. Eine schlagkräftige Parteipolitik, die in erfolgreiche Wahlen mündet, liefert das Fundament für eine gelungene Sachpolitik. 

Übrigens, Rendi-Wagner komplettiert ein unheimliches Gesetz der Serie: dass Parteichefs im Mai der Politik den Rücken kehren. Werner Faymann (2016) Reinhold Mitterlehner und Eva Glawischnig (beide 2017), Mathias Strolz (2018), Heinz-Christian Strache (2019) gingen ebenso im Mai von Bord. 

Einen politisch weniger turbulenten Dienstag wünscht