Gerald Grosz gestern Nacht in der ZiB 2, dort säße er sonst nicht. Aber er ist Hofburg-Kandidat, sechstausend Stimmen als Lizenz für erhöhte Kurzzeitprominenz. Die Medien sind in einem Dilemma. Reicht das, um die Bühne zu öffnen? Öffnet man sie nur für die stichwahlrelevanten Kandidaten? Wo die Linie ziehen, und wo und wie man sie auch zieht, der Grat ist schmal und abschüssig in Zeiten rabiater Misstrauenskultur, die längst von der Sphäre der Politik auf die der Medien übergegriffen hat. Das wissen auch Leute wie Grosz, der noch einmal alles auspackt, was er unter Jörg Haider gelernt hat, die Mimikry geht bis in die kleinste Gestik und Handbewegung, man könnte Archivbilder danebenstellen.

Auch das Brandmarken der Medien als feindseliges Gegenüber war immer schon wichtige Requisite im Bühnentanz der Populisten. Wenn die große Bruchlinie in der Gesellschaft zwischen Unten und Oben verläuft, dann sind in der Agitationswelt der Empörungsdarsteller die etablierten Medien ein Teil des Oben, der ORF zuoberst. Das weiß man und weiß auch: Man wird selbst zum Thema, das Gespräch als Rodeo. Bei Grosz dauert es gestern nur wenige Sekunden, bis die erste Attacke gegen den ORF geritten wird. Er wirft Martin Thür vor, dass man für den Beitrag vorsätzlich einen Widersacher befragt habe, das ist aber jemand, mit dem Grosz aus Hetz regelmäßig im Studio eines Boulevardmediums die Klinge kreuzt, ein Bühnenkollege gewissermaßen. Thür weist nach einer kurzen Irritation darauf hin.



Befragt nach Unterschieden zu einem Tassilo Wallentin, Michael Brunner oder Walter Rosenkranz, antwortet Grosz ausweichend: Er trete gegen Alexander Van der Bellen an. Über die Mitbewerber im Anti-Establishment-Kampf will der Gast nicht reden, lieber über das „Saubere“, das dem Korrupten und Verkommenen furchtlos die Stirn biete. Er sei nämlich immer ein bissl ein Revoluzzer gewesen, auch im Klub des BZÖ, als er intern gegen das Ja zu einem Nato-Beitritt Österreichs aufbegehrt habe, ein kleines Mäuschen im Saal hätte das ebenso mitbekommen können wie sein namenloses Nein bei der Abstimmung im Parlament gegen das Glückspielgesetz. Kein Mäuschen da für einen Fakten-Check.

Im Gegensatz zu anderen in der Politik sei er, Grosz, kein einziges Mal vor einem Richter oder einem Staatsanwalt gestanden. Interessante moralische Unterkante, die auch nur zutrifft, weil er einmal, wegen Rufschädigung schuldig gesprochen, zur Verhandlung nicht erschienen war. Das hat Thür, der im Sattel bleibt, als es ruppig wird, jetzt gerade nicht parat, dafür zieht der Moderator eine Überweisung aus dem Jahr 2010 aus den Unterlagen: Druckkostenbeitrag der Novomatic für die Postille des steirischen BZÖ, für die Grosz kandidierte. Bua, greif nie zua, hat Herbert Haupt dem jungen Mitarbeiter Grosz ins Gewissen geredet, hat es nicht gehört auf die mahnende Stimme?

Grosz, in dunkelbraunem neuen Zwirn mit kleiner Österreich-Fahne am Revers, wendet auch diesen Vorhalt frivol gegen das Medium des Fragenden: Er habe erst Jahre später erfahren, wer ihn da „unterstützt“ habe. Man habe versucht, ihn zu kaufen und zu erpressen, womöglich unter Mitwirkungen von Gefolgsleuten. Hätte er im Übrigen gewusst, dass es die Novomatic war, hätte er sich mit der Summe nicht zufriedengegeben, den anderen Parteien und der ORF-Spendenaktion „Licht ins Dunkel“ seien ganz andere Beträge zugeflossen. Ungeniert alles mit allem verrühren in Bedrängnis und nie auf das Dazulächeln vergessen, der Kandidat ruft ab, was er gelernt hat.

Dazwischen platziert er Ausfälle gegen die EU („Anstalt abnormer Rechtsbrecher“), poltert in einem Atemzug gegen die „Sanktionitis“, die „Coronitis“ und die „Provokationen“ der Nato, und vergisst nicht auf die „Minderheit der Meinungsmacher“. Damit war das Feld abgesteckt, und doch gab sich der Gast am Ende des zehnminütigen Hin und Her unzufrieden mit der Auswahl der angesprochenen Themen. „Ich sehe auf Ihrem Blatt, dass das Ihre letzte Frage war und bedanke mich für die Vielfalt der Fragen zu meiner Bundespräsidentschaftskandidatur, deretwegen der ORF mich eingeladen hat“. Martin Thür ging auf die Spitze nicht ein und erwiderte zum Abschied den Dank. Da müssen er und alle anderen jetzt durch, und das Publikum auch.

Schad um Roger Federer, den großen Virtuosen der Leichtigkeit, art must be effortless, und schad um den Sommer, der über Nacht Schnee von gestern ist: unser Aufmacher auf Seite eins. Das geht alles ein bisschen zu schnell, aber kommen Sie trotzdem robust und gelassen durch den Tag,

wünscht

Hubert Patterer