Nach zweiwöchiger Corona-Klausur endlich wieder in einer Abendgesellschaft. Das Virus war zäh. Sogar Lesen erschöpfte. Und so hab ich mir auf dem iPad in einer kleinen Retrospektive nach vielen Jahren wieder die wichtigsten Werke des großen griechischen Filmemachers Theo Angelopoulos (1935-2012) angeschaut. Gemeinsam mit Marcello Mastroianni habe ich mich auf eine Reise ohne Wiederkehr durch Griechenland („Der Bienenzüchter“) begeben und bin mit Harvey Keitel durch den von den Jugoslawienkriegen zerrissenen Balkan („Der Blick des Odysseus“) geirrt.

Und jetzt, ein paar Tage später, stehe ich in einem verwunschenen Garten an der steirisch-slowenischen Grenze und lausche gebannt der Live-Musik von „In Compagnia“. Die Formation ist ein gemeinsames Herzensprojekt der Kultband Aniada a Noar und des Trios ALTRIOH aus Friaul. Voller Leidenschaft sind die Lieder der sechs Musiker. Sie handeln von der Liebe, vom Wein und vom Gebirgskrieg in den Dolomiten.

Mehr als 100 Jahre nach seinem Ende ist der Erste Weltkrieg in Italien immer noch sehr präsent, im kollektiven Gedächtnis viel gegenwärtiger als der zweite. Das Trauma sitzt tief. Wie ein kleines Wunder scheint es da, dass Musikanten aus Italien und Österreich gemeinsam von ihm singen und seine sinnlosen Toten betrauern.

Möglich wird das, weil die Gegner von einst irgendwann beschlossen haben, die grausame Logik von Hieb und Gegenhieb zu durchbrechen. Anderswo gelingt das bis heute nicht. Die Türkei und Griechenland sind einander nach wie vor spinnefeind, an der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo kam es erst dieser Tage wieder zu Unruhen.

Das zersetzende Gift des Völkischen wirkt fort. Fast prophetisch erscheinen im Rückblick die Filme von Theo Angelopoulos, die in schönen, rätselhaften Bildern die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts festhalten. „Dieser Krieg ist fern wie eine Jugenderinnerung“, schreibt ein Freund über den blutigen Zerfall Jugoslawiens. Und doch so beunruhigend nah. Werden wir das eines Tages auch über den Krieg in der Ukraine sagen?

Es grüßt Sie herzlich