Das Stück steht zwar nur noch selten auf den Spielplänen unserer Theater, aber ein Zitat aus Franz Grilllparzers Drama „Ein Bruderzwist in Habsburg“ wird nach wie vor gern zur Charakterisierung Österreichs bemüht: „Das ist der Fluch von unserm edlen Haus: Auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mitteln zauderhaft zu streben.“ 1872 als Trauerspiel des Nationaldichters uraufgeführt, scheint der erwähnte Fluch selbst 150 Jahre danach noch wirksam zu sein...
Das kurze Glück und das jähe Ende des Gesetzes über die Impfpflicht passt in dessen Rahmen. In einer Novembernacht am Achensee überfallsartig beschlossen, im Jänner durchs Parlament gepeitscht. Bevor die Strafdrohungen für Impfverweigerer scharf gestellt wurden, rasch die Stopptaste gedrückt und das Gesetz vorläufig ausgesetzt, um es diese Woche sang- und klanglos beerdigen zu können. Die Erfinder der Impfpflicht, Kurz-Bundeskanzler Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, haben ihre Funktionen längst verloren und auch Landeshauptmann Günther Platter, ehemals Gastgeber, ist bald Geschichte.
Es handelt sich um den verzweifelten Versuch, jenen Schaden zu begrenzen, der den schwarzen Machthabern in ihren Kernländern Tirol und Niederösterreich bei den kommenden Landtagswahlen droht. Davon unbeeindruckt zeigt sich allerdings das Corona-Virus mit seinen stets neuen Mutationen. Johannes Rauch, bereits dritter Pandemiebekämpfer im Gesundheitsministerium, hatte sich einst bei Amtsantritt das Ziel gesetzt, eine Durchimpfungsrate von 80 Prozent zu erreichen - damit könne man getrost auf die Impfpflicht verzichten. Vor dem Aufbranden der prognostizierten Sommerwelle halten wir bei rund 62 Prozent. Halbe Wege, halbe Tat, halbe Mittel...
Halbherzig agiert die Regierung auch angesichts der akuten Energieknappheit. Bundeskanzler Karl Nehammer hat beim EU-Gipfel zu Protokoll gegeben, dass Österreich bei der gemeinsamen Beschaffung von Erdgas durch die EU-Kommission mitmachen will und aus diesem Anlass auch die Quantitäten genannt, die das Land benötigt. Ein stilles Eingeständnis, dass wir bisher keine Ersatzlieferungen sichern konnten und die letzte Reise in die Golfstaaten außer freundliches Händeschütteln ebenso wenig einbrachte. Vizekanzler Werner Kogler übt sich derweil in Vergangenheitsbewältigung und fordert einen Untersuchungsausschuss gegen die rot-schwarzen Regierungen, die das Land in die Malaise geritten hätten. Dabei verschweigt er elegant, welche Schritte er und Umweltministerin Leonore Gewessler in der zweijährigen Amtszeit unternommen haben, um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu verringern.
Die Regierung darf nicht überraschen, dass ihre Halbherzigkeiten und Halbwahrheiten das Vertrauen der Bevölkerung auf einen Tiefpunkt sinken ließen. Beim deutschen Nachbarn überzeugt Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck dagegen längst mit Transparenz und schonungsloser Schärfe. Dem grünen „Churchill der Nordsee“ als den ihn Hubert Patterer im heutigen „Offen gesagt“ treffend verortet, werden Durchblick und Konsequenz attestiert, der bitteren Wahrheit zum Trotz badet er in Popularität. Österreichs Entscheidungsträger könnten sich daran ein Beispiel nehmen. Bevor sie in die Sommerpause eintauchen, sollten sie Klartext reden und endlich einmal aussprechen, was uns im Herbst und Winter bevorsteht.
Einen zur Gänze erfüllten Sonntag wünscht Ihnen