Vor einiger Zeit kündigte sich an, dass Alexander Van der Bellen bald seine Wiederkandidatur publik machen wird. Die Idee, nach dem Vorbild von Heinz Fischer und Thomas Klestil fünf bis sechs Monate vor dem Wahlsonntag an die Öffentlichkeit zu gehen, war verworfen worden. Um Ostern herum war der russische Überfall auf die Ukraine noch stark in den Köpfen präsent, den Wahlkampf zu starten, während alle nach Kiew oder Butscha blicken, hätte irritiert. 

In der Ukraine tobt immer noch der Krieg, ein Ende ist in weite Ferne gerückt, der jetzige Zeitpunkt drängte sich nahezu auf: In den nächsten vier Wochen stehen uns drei lange Wochenenden ins Haus, dann folgt rasch der Sommer. Zu lange sollte man nicht zuwarten, wenn davon auszugehen ist, dass am 9. oder 16. Oktober gewählt wird. Am 26. Jänner 2023 endet unwiderruflich Van der Bellens Amtszeit, der Wahlkalender muss vom Ende her aufgerollt werden. 

Gerüchte wollten am Wochenende nicht verstimmen, dass am  Sonntag Van der Bellen seine Wiederkandidatur bekannt gibt, die Telefonleitungen in die Hofburg waren gestern allerdings tot. Keine Antwort unter dieser Nummer, hieß es für Medienvertreter. Bald darauf meldete sich der einstige Ö-3-Moderator und ehemalige Mitarbeiter von Vizekanzler Werner Kogler, Stephan Gustav Götz, am Telefon - als Sprecher des neuen Kampagnenteams.

Wohl auch unter dem Eindruck der anhaltenden Debatten über Unvereinbarkeiten in der Politik will Van der Bellen scharf zwischen dem Amt des Bundespräsidenten und der Rolle als Spitzenkandidat unterscheiden, in einem Büro in Wien sollen die Fäden zusammenlaufen. Die Freiheitlichen, die eine eigene Kandidatin oder einen einigen Kandidaten aufstellen wollen, werden alles tun, um Van der Bellen etwas ans Zeug zu flicken. Diese Trennung ist schwer zu ziehen. Sollte Alexander Van der Bellen Arnold Schwarzenegger oder einen royalen Ehrengast in nächster Zeit in Österreich empfangen - agiert er da ausschließlich als Bundespräsident? Oder wurde der Termin vielleicht so gelegt, dass er in den Wahlkampf hineinfällt? 

Wer Van der Bellens Wahlkampf sonst noch managt, soll heute bei einer Pressekonferenz in der Concordia verkündet werden. Eine Schlüsselrolle spielt Martin Radjaby, der auch einmal bei Ö-3 war und nun eine Werbeagentur betreibt. Nicht dabei sind Stefan Wallner, der vor wenigen Monaten als Werner Koglers Kabinettschef abgetreten ist, und Van der Bellens enger Vertrauter Lothar Lockl. Eine Doppelfunktion in dessen neuer Rolle als Chef des ORF-Stiftungsrates wäre politisch schwer vereinbar gewesen und hätte unweigerlich Diskussionen ausgelöst. 

Dass Van der Bellen seine Kandidatur in den sozialen Netzen bekannt gegeben hat, also nicht eine Pressekonferenz einberufen hat, sondern seine Botschaft über Facebook, Instagram, YouTube, Twitter und TikTok ausgespielt hat, entspricht den geänderten Kommunikationsgewohnheiten. Heinz Fischer hatte bereits vor zwölf Jahren (!) diesen Weg beschritten und damals auf Facebook den Willen bekundet, weitere sechs Jahre in der Hofburg bleiben zu wollen. Damals ging der ORF die Wände hoch, es sei unmöglich, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer so staatstragenden Frage zur Staffage zu degradieren.

Dass Van der Bellen ein zweites Mal antritt, entspricht den Usancen der Zweiten Republik. Mit Ausnahme von Kurt Waldheim, der über seinen Umgang  mit der eigenen Biografie gestolpert ist, haben alle Bundespräsidenten eine zweite Amtszeit angehängt. Am besten schnitten bisher Rudolf Kirchschläger und Heinz Fischer ab, beide kratzten an den 80 Prozent. Für Van der Bellen dürfte ein solches Ergebnis schwer zu übertrumpfen sein, angesichts der Polemik, die ihm bereits jetzt als „Vertreter des Systems“ entgegen schlägt. Wie man die Brücke zu jenen Menschen schlägt, die den etablierten Parteien, der gesamten Politik den Rücken gekehrt haben, bereitet Van der Bellen nachweislich größeres Kopfzerbrechen. Die Entfremdung, die bisher in einer niedrigen Wahlbeteiligung Ausdruck gefunden hat, ist bisweilen in Hass umgeschlagen. 

Am gestrigen Sonntag dürfte nicht nur den Grünen, sondern auch ÖVP und SPÖ ein Stein vom Herzen gefallen sein. Sie ersparen sich die quälende Suche nach einem Spitzenkandidaten, der Schock von 2016, das Ausscheiden von Andreas Khol und Rudolf Hundstorfer im ersten Durchgang, steckt beiden Parteien noch in den Knochen (da ist es ein schwacher Trost, dass in Frankreich die beiden alten Traditionsparteien bei Macrons Wiederwahl einstellig abgeschnitten haben). SPÖ und Neos unterstützen ausdrücklich Van der Bellen, die ÖVP überlegt noch. 

Sogar die Freiheitlichen glauben, dass sie gegen Van der Bellen ohne Chancen sind. Sie wollen nur eine Zählkandidatin oder einen Zählkandidaten aufstellen.  Norbert Hofer, das Zugpferd der Blauen, pausiert diesmal und will erst antreten, wenn die Ära Van der Bellen zu Ende gegangen ist – spätestens 2028/9. Dann ist Van der Bellen übrigens 85 Jahre alt.