Langsam wird es unerträglich. Wirklich unerträglich. Wenn es um die Atomkraft, die illegale Migration, die Gentechnik, den Kampf gegen den Islamismus, die Verhinderung des EU-Beitritts der Türkei geht, zählen die Österreicher zu den Ersten, die laut aufschreien und energisch europäisches Handeln einfordern. Das Entsetzen über den barbarischen Krieg ist zwar gewaltig. Kommen mögliche Konsequenzen wegen der russischen Aggression zur Sprache, geht die Politik schlagartig auf Tauchstation. Bisweilen nimmt die Zurückhaltung unerträgliche Züge an. Warum eigentlich?

1.    Seit Wochen machen Bilder von italienischen, französischen, spanischen Zollbeamten die Runde, die mutmaßliche oder nachgewiesene Yachten von russischen Oligarchen entern und beschlagnahmen. Nun besitzt Österreich seit 1918 keinen Meerzugang, auch verhindern die schiffsbaulichen Vorschriften zwischen Boden-, Wörther- und Neusiedlersee, dass hierzulande Protz-Schiffe zu Wasser gelassen werden. 

Will man als Journalist und interessierter Staatsbürger herausfinden, welche Schritte in Österreich gegen Oligarchen gesetzt worden sind, wird man zwischen Ministerien im Kreis geschickt. Zuständig sind immer die anderen. Schließlich landet man bei der Nationalbank sowie beim Nachfolger des BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung), beim DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst). Beide beteuern, sie seien zur Verschwiegenheit verpflichtet. Warum eigentlich? Ja, es gibt den Datenschutz und den Rechtsstaat. Warum werden das Einfrieren von Oligarchengeldern oder die Beschlagnahme von Immobilien wie ein Staatsgeheimnis gehütet? Warum erfährt man Details nur unter der Hand? Warum diese Zurückhaltung? Will man Putins Nomenklatura nicht öffentlich auf die Zehen steigen? 

2.    Der Nationalrat ist bald das letzte Parlament in Europa, in dem Präsident Selenskyj noch nicht aufgetreten ist. Verwiesen wird immer auf die Geschäftsordnung und das fehlende Einvernehmen mit der FPÖ. Was hindert den Nationalratspräsidenten, den ukrainischen Präsidenten nicht zu einer regulären Plenarsitzung, sondern zu einer außertourlichen, formlosen Sitzung einzuladen? Da wird bisweilen ins Treffen geführt, Österreich laufe Gefahr, sich international lächerlich zu machen, wenn die FPÖ während der Übertragung einen Wirbel schlägt. Ist das ernst gemeint? Die Freiheitlichen können gar nicht den Auftritt unterbrechen, würde doch eine voraufgezeichnete Videobotschaft abgespielt werden. Warum die Zurückhaltung? Ist es die Angst vor der FPÖ. Oder ist es die Angst, dass Putin Rache an Österreich, das wie kaum ein zweites EU-Land ökonomisch mit Russland verflochten ist (OMV, Strabag, Raiffeisen, etc.), nehmen könnte?

3.    Beim Gas ist Österreich in einer bequemen Position. Steigt der internationale Druck, sich energiepolitisch von Moskau abzunabeln, kann sich Österreich bequem hinter Deutschland verstecken. Berlin steckt genauso in der Klemme wie Wien, Budapest, Bratislava, Sofia oder Prag. Bei Öl und Kohle ist Österreich nicht mehr von Russland abhängig. Stehen allerdings neue Sanktionen an, steht Österreich auf der Bremse. Niemand will sich verständlicherweise ins eigene Fleisch schneiden. Nur: Die Frage, ob man nicht die Bevölkerung mit der einen oder anderen Zumutung zu konfrontieren bereit sei, wie das der deutsche Energieminister Robert Habeck vorexerziert, wird bisweilen als Ungeheuerlichkeit empfunden. Warum dieser Reflex? Warum diese Zurückhaltung? Oder erschöpft sich die Solidarität im Lippenbekenntnis?

4.       Fast ganz Europa unterstützt die Ukraine mit Waffen. Ganz Europa? Nein, ein kleines Land im Herzen des Kontinents geht einen Sonderweg. Einen solchen gehen auch die Schweiz und Irland - im Unterschied zu Schweden und Finnland, die trotz Neutralität Waffen zu liefern bereit sind. Zugegeben, neutralitätsrechtlich sind uns beim Export von Waffen die Hände gebunden (dass die Italiener Waffen über Österreichs ins Kriegsgebiet schicken, tangiert uns nicht). Glaubt man einer peniblen Auflistung, die das ehemalige Kieler Institut von Wifo-Chef Gabriel Felbermayer gemacht hat, zählt Österreich zu jenen EU-Ländern, die gemessen am BIP am wenigsten der Ukraine geholfen haben. Warum die Zurückhaltung?  Reicht uns die verbale Solidarität mit der Ukraine? 

5.    Bei keinem anderen Thema betreibt die Politik eine so ausgeprägte Realitätsverweigerung wie bei der Neutralität. Während Finnland und Schweden an die Tore der Nato klopfen, wird in Österreich, das sich in der Rolle des Trittbrettfahrers gefällt, das Thema unter den Teppich gekehrt. Nun muss Österreich nicht gleich der Nato beitreten (obwohl nichts dagegenspricht). Warum die Zurückhaltung in der Debatte? Kann es wirklich sein, dass parteitaktisches Kalkül den sicherheitspolitischen Diskurs in Österreich bestimmt? Alois Mock würde sich im Grab umdrehen.

6.    Dass die EU der Ukraine eine Vollmitgliedschaft anbietet, ist, so meine ich, eine Schnapsidee. Nicht nur fehlt es der EU an der nötigen Aufnahmefähigkeit, die Beispiele Rumänien und Bulgarien haben gezeigt, dass auch ein institutionelle, ökonomische, politische Beitrittsreife gegeben sein muss. Warum hat der Außenminister ausgerechnet in dieser Frage die Zurückhaltung aufgegeben? Als Signal an Moskau, dass sich’s Österreich mit Russland nicht verscherzen will?

Österreich verschanzt sich in der Ukraine-Politik, in der Frage, wie der russischen Aggression zu begegnen ist, gern hinter den anderen. Und hofft, sich irgendwie durchwursteln zu können. Es wäre nicht das erste Mal, wenn andere Länder – erinnert sei nur an die Balkan-Kriege – die Kohlen aus dem Feuer holen müssen und Österreich den Oberlehrer, der alles besser weiß, hervorkehrt.


Einen schönen Tag wünscht