Gegen Mitternacht, also vor wenigen Stunden erst, erreicht der zweitägige Berlin-Besuch von Karl Nehammer seinen ungeplanten Höhepunkt. Plötzlich taucht im Hotel des Kanzlers Wladimir Klitschko auf, der Bruder des unerschütterlichen Bürgermeisters von Kiew, der ähnlich wie Präsident Wolodymyr Selenskyj nahezu täglich flehentliche Bitten an die Europäer richtet, sie mögen weniger aus moralischen Erwägungen, sondern im ureigensten Interesse den Ukrainerinnen und Ukrainern zur Seite stehen. Gelänge es nicht, Putin in die Schranken zu weisen, würde dieser nicht davor zurückschrecken, weitere Länder im Osten des Kontinents zu destabilisieren. Mit fatalen Folgen für das restliche Europa.
"Ich bedanke mich bei allen Österreichern für die Unterstützung", diktiert Klitschko den wenigen Journalisten, die ausgeharrt haben, ins Aufnahmegerät. "Ich scheue mich nicht, zu sagen: Wir brauchen mehr. Wir verteidigen nicht nur unsere Werte, sondern auch die europäischen Werte." Was die Ukraine brauche? "Humanitäre Hilfe, finanzielle Unterstützung und auch Waffen." Ob er nicht enttäuscht sei, dass Österreich ein Energieembargo gegen den Kreml ablehne, will er nicht beantworten – offenkundig aus Rücksicht auf den Kanzler, der neben ihm steht. Die Frage zur österreichischen Weigerung, anders als Schweden oder Finnland keine Waffen in die Ukraine zu schicken, erreicht ihn nicht mehr.