An seine Erzählungen aus dem Krieg kann ich mich nicht mehr erinnern. Möglicherweise deshalb, weil es kaum Erzählungen von ihm gab, ich zu jung war, das Geschehene einzuordnen, er viel lieber die friedliche Gegenwart wertschätzte und neugierig in die Zukunft blickte, als ständig die Vergangenheit vor dem geistigen Auge Revue passieren zu lassen. Nur wenige Monate fehlten und er hätte in drei Jahrhunderten gelebt. Der Großvater wurde 101 Jahre alt. Bis ins sehr hohe Alter sagte er kluge Sätze wie "Die Welt ist ein Paradies, nur die Menschen müssten sich besser verstehen". Ein hoffnungsfroher Wunsch, der von unserer Spezies regelmäßig in brutaler Manier konterkariert wird.

In diesen Tagen muss ich immer wieder an den klugen Großvater denken. Dann, wenn über die jungen Männer berichtet wird, die im Auftrag ihres autokratischen, größenwahnsinnigen Staatsoberhauptes in einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland gezogen sind. Oder dann, wenn von jenen Adoleszenten die Rede ist, die sich gegen die militärische Übermacht stellen, um ihr Heimatland zu verteidigen, während Frauen und Kinder versuchen in Richtung Westen zu flüchten. Der Glaube ans "Paradies" – in weite Ferne gerückt. Selbst in einer präzise vermessenen Welt ist es schwer, den Überblick zu bewahren. Fakten, Gegenerzählungen, unverrückbare Bilder, Propaganda auf allen Seiten – ein Stochern im wabernden Nebel eines Krieges, der Zäsur und Menetekel darstellt.

Da fällt mir der Großvater ein, wie er im Ersten Weltkrieg als 17-Jähriger an die Front musste, um mit der österreichisch-ungarischen Armee gegen den Feind im Süden, die Soldaten des italienischen Königreiches zu kämpfen. Im Gebirge, in Schützengräben. Schwer verwundet sollte er zurück in die Oberkärntner Heimat kommen. Mit einem Durchschuss im Bereich des Knöchels war er noch besser bedient als manch anderer. Der Zweite Weltkrieg blieb ihm so erspart.

Einer, der den Zweiten Weltkrieg und gleich vier deutsche Konzentrationslager überlebte, ist Boris Romantschenko. Nun ist der Ukrainer im Alter von 96 Jahre gestorben, wie die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie die ukrainische Regierung am Montag mitteilten. Romantschenko wurde offenbar durch russische Bomben in Charkiw getötet. "Ein Geschoss traf das mehrstöckige Gebäude, in dem er wohnte. Seine Wohnung brannte aus", heißt es von der Stiftung. Vor zehn Jahren hatte Romantschenko bei einer Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Buchenwald einen Schwur zum "Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit" gelesen. Traurig zu sehen, dass wir heute so weit davon entfernt sind wie seit Jahrzehnten nicht.

Einen demütigen Dienstag wünscht