Das Weckerstellen war umsonst: Kein Skirennen ab 4 Uhr nachts, der Wind tobt über Yanqing. Das Schneeband der am Reißbrett designten Herrenabfahrt schlängelt sich durch die karge Landschaft wie eine Chinesische Mauer in Weiß. Ein trostloses Bild, auch im verwaisten Zielbereich, dem nicht einmal Hansi Knauß gute Laune einzuimpfen vermag. Der ORF flüchtet sich schnell in Eiskunstlauf, nach einer halben Schockstunde erfährt auch der späte Frühaufsteher endlich via Laufband, dass sich das Warten nicht mehr lohnt.

Allzu viele wird man nicht vergrault haben, die Einschaltquote um diese Uhrzeit dürfte keine Rekorde sprengen. Die Fieberkurve hat sich abgeflacht - die Österreicher sind zunehmend Ski-müde und nicht mehr von Sinnen wie einst, als sie nahezu elektrifiziert wirkten, wenn ihre rot-weiß-roten Skihelden im Starthaus standen. 

Dabei hatte der ORF am Vortag noch alles aufgeboten, um die olympische Begeisterung wieder zu entfachen. Zu Beginn der dreiteiligen Franz Klammer-Festspiele lief dessen Siegesfahrt von Innsbruck 1976 im Original, mit launiger Untermalung durch Armin Assinger. Das Hauptabendprogramm glänzte mit dem opulenten Filmdrama um das Duell am Patscherkofel, in dessen Anschluss der Kärntner Popularitätskaiser mit seinem damaligen Widerpart, dem smarten Eidgenossen Bernhard Russi, in Erinnerungen schwelgte. Als alle Archivbilder an ihnen vorbeigezogen waren, analysierte der Schweizer trocken: „Ich behaupte, dass wir zu 90% nicht dort gefahren sind, wo wir wollten.“ Eine Steilvorlage für Klammer: „Also, ich eigentlich nur ganz selten.“  

Auch der übrigen Ski-Heroen wurde am TV-Nachmittag ausführlich gedacht: Noch einmal flimmerte die Hysterie wegen des olympischen Ausschlusses von Karl Schranz vor 50 Jahren im japanischen Sapporo über die Bildschirme. Man sah die aufgeregten Massen, die vom Flughafen Schwechat bis in die Straßen Wiens dem wegen des Verstoßes gegen den Amateur-Paragrafen gemaßregelten Karli zujubelten, hörte die Spottlieder über den IOC-Präsidenten Avery Brundage und erspähte Bruno Kreisky, wie er zögernd, aber am Ende doch den Balkon des Kanzleramtes betrat, auf dem sich das Sport-Idol von Tausenden am Ballhausplatz feiern ließ. 

Als Zugabe brachte der Staatsfunk die Lebens- und Erfolgsgeschichte von Annemarie Moser-Pröll, deren unnachahmliche Siegesserie zwar Sympathie und Respekt, aber offenkundig nie dieselben Gefühlswallungen wie bei ihren männlichen Kollegen hervorrief.

Eine Szene, die sich unvergesslich in die Erinnerung aller Ski-Fans einbrannte, wurde allerdings nicht aufgewärmt: Der Sturzflug von Hermann Maier 1998 in Nagano. Es war sein Olympia-Debut, der Flachauer hatte sich zuvor seine Aufnahme ins Skiteam als Außenseiter erkämpft und daraufhin die Saison dominiert. Auf der mehrmals verschobenen Abfahrt unterschätzte Maier die leicht versetzten Tore und raste viel zu schnell in eine Linkskurve. Es hob ihn aus, die Skier durchschnitten den blitzblauen Himmel, sein Körper krümmte sich im schiefen U zur Erde. Maier flog vierzig Meter durch die Luft, landete auf seiner Schulter, durchschlug zwei Fangzäune und purzelte einer ferngesteuerten Monsterpuppe gleich durch den tiefen Schnee. Der Aufschrei des Kommentatoren-Duos Seeger/Assinger hallte durch die Wohnzimmer. Es folgten Augenblicke des lähmenden Entsetzens im fernen Ostasien und vor den heimischen Bildschirmen.

Dann das Aufatmen: Maier rappelte sich auf, schüttelte den Schnee ab und winkte. 72 Stunden später holte er die Goldmedaille im Super-G und gleichsam im Vorbeifahren noch eine zweite Goldene im Riesenslalom, denn: „Nach so einem Sturz hab ich mir gedacht, also wenn ich jetztan Gold gwinn, dann bin ich unsterblich.“

„Olympische Spiele sind eine Weichenstellung im Leben eines Athleten“, resümierte Bernhard Russi am Ende des dokFilms. Vielleicht sehen wir ja kommende Nacht, wessen Lauf zu ewigen Ehren gereicht.  

Einen windstillen Sonntag wünscht Ihnen