Ja, zu Allerheiligen und Allerseelen wird eine Ausnahme gemacht, da wird kurz die Türe für Themen geöffnet, die wir sonst lieber aus dem Alltag ausschließen. Unser Umgang mit dem Tod ist reserviert, wie sollte es anders sein. Wie sollten wir das Ende mögen. Jenes Ende, das uns geliebte Menschen entreißt, uns einsam oder entwurzelt zurücklässt und mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Da hilft auch nicht, wenn Therapeuten erklären, dass erst der Tod das Leben ganz mache. Was angesichts der Vorstellung, wir würden ewig leben, zweifelsfrei stimmt. Aber wer lebt wirklich danach, wer hat das Gewisseste des Lebens verinnerlicht? Wenn es so wäre, würden viele anders leben. Wie jene vieles zu ändern beginnen, die erfahren, nicht mehr lange zu leben. Angesichts des Todes wird ja, wie Thomas Bernhard schrieb, alles lächerlich. Da wird früher Wichtiges unwichtig und Termine, die am Ende einer Liste standen, wandern nach oben. Da wird die Zeit plötzlich zum wertvollsten Gut, jene Zeit, mit der Gesunde oft umgehen, als ob sie ewig lebten.
Besuche am Grab können mehr sein als das Einfrischen von Blumen. Mehr sein als ein „Servus Mutter, ich bin da“-Sagen am Grab der Großmutter zu Allerseelen oder an heißen Sommertagen, an denen ich dann denke, welche Freude sie mit den Blumen auf ihrem Grab hätte oder wie entrüstet sie den Kopf schütteln würde, wenn zu viel auf dem Grab wuchert. Gräber können auch Weckruf sein, mit der eigenen, begrenzten Lebenszeit anders umzugehen. Vielleicht sollte auf jedem Friedhof ein Appell von Seneca über den oft verschwenderischen Umgang mit der Lebenszeit, der – wie er mahnte – „allerkostbarsten Sache der Welt“, stehen. „Das größte Hindernis im Leben“, schrieb er, „ist die Erwartung, die uns an das Morgen bindet und uns das Heute verlieren lässt ... Jetzt sollst du leben.“