ÖVP-Chef Sebastian Kurz wurde von seiner Partei vor zwei Monaten noch wie ein Messias be- und gehandelt. Ein Wunder jedoch hat er heute nicht abgeliefert. Es langte zwar für einen soliden Platz eins, da sich Rot-Blau jedoch auch ausgeht, ist er, wenngleich Wahlsieger, nicht in der besten Ausgangssituation für die anstehenden Koalitionsverhandlungen. Überhaupt hat er diese ja nicht nur mit einem potenziellen Regierungspartner zu führen, sondern auch intern. Denn die Übereinkunft, dass Kurz liefert (40 Prozent plus irgendwas) und der Rest schweigt, wurde von einer Seite nicht in der erwarteten Form eingehalten. Öffentlich wird niemand Kritik an Kurz äußern, die Bünde werden aber ihre Posten einfordern.

Sollten die Städte den vorläufigen Wahltrend nicht um 180 Grad drehen, ist Heinz-Christian Strache der Gewinner des Abends. Und das gerade, weil er nicht Nummer eins wurde. Eine gewagte These? Nicht unbedingt. Einen Kanzler Strache hätten weder SPÖ noch ÖVP zugelassen. So aber hat er eine starke Position in den Verhandlungen mit der ÖVP.
Er kann nämlich glaubhaft mit einer Alternative im Talon - einer Koalition mit der SPÖ - in die Verhandlungen mit der ÖVP gehen.

Diese wäre international wohl auch weit weniger geächtet, als eine Koalition der beiden rechten Parteien. Umgekehrt können sich Kurz und Strache international damit rechtfertigen, dass ÖVP und FPÖ eine Koalition der Wahlgewinner bilden.

Getraut sich die SPÖ zu pokern?

In der SPÖ kann man am heutigen Abend eigentlich nur jubeln – denn die Kombination aus Dummheit und Dreistigkeit, mit der im Wahlkampf agiert wurde, war einzigartig in so ziemlich jedem Wahlkampf in jedem zivilisiertem Land. Dafür ist dieses Ergebnis eine glatte Sensation.

Ob Christian Kern das Pokerface hat und mit der FPÖ in Koaltionsverhandlungen tritt, wird sich zeigen. Der Preis für den Machterhalt wäre freilich enorm und würde sogar in den Schatten stellen, wie Alfred Gusenbauer bei den Regierungsverhandlungen 2006 abgeräumt wurde. Die Alternative, sich von der ÖVP unterjochen zu lassen, würde vor allem Hans-Peter Doskozil, der in einem seinem Doppel-Interview mit Kurz Erfahrung darin gesammelt hat, freuen. Und jene in der Partei, denen es um Posten statt Prinzipien geht.

Oder man wählt Variante Nummer drei: Man setzt sich auf die Oppositionsbank. Falls es Letzteres wird, ein Satz der die Genossen tröstet: In den letzten zehn Jahren hat Heinz-Christian Strache von der Oppositionsbank den politischen Diskurs weit intensiver vorgegeben als Werner Faymann als Kanzler. Oder Alois Stöger in irgendeiner seiner zig Ministerpositionen.

Auch wenn die Neos für eine Trennung von Religion und Staat eintreten, sollte man eine kollektive Wahlfahrt nach Graz machen, um Irmgard Griss für ihr Antreten zu danken. Denn auch wenn das Ergebnis heute durchaus knapp war - Griss hat der Partei zu Beginn der Kampagne dabei geholfen, ihre Flügel überhaupt zu heben.

Die grüne Gewinnerin (Achtung: Zynismus!) an diesem Wahlabend heißt Eva Glawischnig. Sie hat rechtzeitig erkannt, dass das Grüne-Jahrzehnt vorbei ist. Das kann man nun opportunistisch oder realistisch nennen, aber jedenfalls geht es ihr damit besser, als dem Rest der Partei. Die muss sich erst einmal sammeln - und kann dabei nicht einmal auf die Expertise von Alexander Van der Bellen zurückgreifen.

Und dann wäre da noch Peter Pilz. Der wollte nach dem Grünen Parteitag ein neues Leben beginnen. Wie es nun aussieht, muss dieses Vorhaben warten. Denn die Rolle des Aufdeckers würde ihm bei Schwarz-Blau wie Rot-Blau zur Höchstform treiben.