Man ist versucht, Striche an der Wand zu ziehen für jeden Tag, den wir bis zur Wahl schon hinter uns gebracht haben. Die Zeit bis zum 15. Oktober verspricht unerquicklich zu werden. Der gestrige Tag zum Beispiel ging hin mit wechselseitigen Anschuldigungen der ehemaligen Koalitionspartner, der jeweils andere verhindere zweckdienliche Lösungen für das Land: die ÖVP die Bildungsreform, die SPÖ den Umbau der Finanzierung der Universitäten.
Nicht einmal über den verfügbaren Zeitrahmen für mögliche Lösungen schien man sich einigen zu können. Die SPÖ betonte, der gestrige Mittwoch sei die allerletzte Chance, die Schulreform zu beschließen, die ÖVP – und auch der sozialdemokratische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil – sehen durchaus die Möglichkeit, bis Ende Juni noch zu einem Ergebnis zu kommen.
Auch über den Entwicklungsstand der beiden größten offenen Vorhaben der scheidenden Koalition kommunizierten die beiden Seiten Unterschiedliches. Gemeinsam ist den Angaben nur, dass sich dem am Streit nicht beteiligten Zuschauer nicht erschließt, wieso über die offenen Punkte nicht in absehbarer Zeit eine Einigung erzielbar sein sollte. Es geht offenbar um anderes.
Längst steht die Frage, wie der Zustrom zu den Massenfächern der Universitäten eingedämmt werden könnte, nicht mehr im Fokus. Auch die Chance für Schuldirektoren, mehr Gestaltungsspielraum zu bekommen, scheint weniger wichtig als der optimale Ausgangspunkt für die bevorstehende Wahlauseinandersetzung. Die Gefahr, die beide Streitparteien zu unterschätzen scheinen, ist die der gemeinsamen Selbstbeschädigung. Politik ist ohne Streit und Kompromiss nicht vorstellbar. Aber öffentlich ausgetragene Schaukämpfe dieser Art fördern nicht gerade die Zustimmung derer, um die man eigentlich werben will.
Sebastian Kurz, der designierte ÖVP-Chef, weiß das und hält sich deshalb fast demonstrativ heraus. Während in den Gängen des Parlaments der Kampf um die Deutungshoheit der Vorgänge tobte, widmete er sich der OSZE-Mission in der Ukraine. Niemand kann ihm vorwerfen, das sei unwichtig, im Gegenteil. Im Vergleich zu den heimischen Hahnenkämpfen ist der schwelende Krieg an der russischen Grenze natürlich ungleich bedeutsamer. Trotzdem ist auch in dieser Terminplanung das innenpolitische Kalkül nicht zu übersehen.
Taktisch mag das alles erklärbar, vielleicht nach den alten Regeln der Politik sogar klug sein. Die parteipolitische Logik aber hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Man ist versucht, die Türe zu schließen und sie erst wieder zu öffnen, wenn ein Ergebnis vorliegt. Wie damals, als verärgerte Bürger der italienischen Stadt Viterbo die Kardinäle so lange in der Kirche einsperrten, bis sie endlich einen Papst gewählt hatten. Als es zu lange dauerte, deckten die Dörfler sogar das Dach ab und warfen Unrat in die ehrwürdige Halle. Das wirkte.
Thomas Götz