Wenn Sie heute, am Tag der Pressefreiheit, die Kleine Zeitung lesen, mögen Sie irritiert sein. Das ist gewollt. Die Titelseite zeigt eine leere, weiße Fläche. Sie bringt mahnend zum Ausdruck, was der heimischen Medienlandschaft perspektivisch droht, sollte das zur Begutachtung geschickte ORF-Gesetz Wirklichkeit werden: die Verödung von medialer Breite und Meinungspluralität.
Die Regierung stellt mit dem Gesetz dem ORF eine Polizze für die Zukunft aus. Er bekommt mit der Haushaltsabgabe, die aufsummiert mehr als 700 Millionen Euro ausmacht, einen von den Steuerzahlern gefertigten Schutzmantel gegen die Unbilden und Umbrüche des Marktes überreicht. Es ist ein landesweites Pflichtabo unter stiller Androhung unfreundlicher Strafen.
Dem kann man in Wertschätzung des ORF als Identitätsanker zustimmen, wäre dieser Akt staatlicher Fürsorge eingebettet in ein ganzheitliches Konzept zur Absicherung eines breiten Meinungs- und Informationsangebots sowie zur Herstellung jener gemeinsamen Öffentlichkeit, auf der die Gesellschaft mit sich selbst ins Gespräch kommt und ihre relevanten Fragen verhandelt.
Von einer solchen integrativen Herangehensweise kann aber bei dem Gesetzeswerk nicht die Rede sein. Der ORF, dessen parteipolitischer Aufsichtsrat unangetastet bleibt, bekommt mehr Geld und digitalen Handlungsspielraum und damit die Lizenz, seine Dominanz zu zementieren und zu monetarisieren – zulasten der privaten Zeitungshäuser.
Diese werden – abgesehen von der Presse- und Digitalförderung, branchenweit ein Zehntel des Volumens der Haushaltsabgabe – den Stürmen des freien Marktes überantwortet. Das allein müsste aus liberaler Sicht noch nicht bedauert werden, denn man kann zu Recht einwenden: Für Strategien gegen die Disruptionen im Medienmarkt gibt es gut bezahlte Manager. Sie in ihrer Verantwortung mit öffentlicher Beihilfe entlasten zu wollen: ein schräges Ansinnen.
Das ist nicht der Punkt. Es geht um die Sicherstellung fairer Bedingungen im schöpferischen und wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den privaten, mittelständisch strukturierten Zeitungsverlagen. Sie zu garantieren, ist kein Postulat von Interessenvertretern, es ist die ureigenste Aufgabe von Politik.
Die Regierung nimmt mit dem Gesetz fahrlässig das Gegenteil in Kauf: Es festigt die Asymmetrie und Übermacht eines Einzelakteurs, des ORF, und raubt den Privaten jedwede Chance, in der digitalen Transformation bestehen zu können. Natürlich ist es deren Job, taugliche Rezepturen gegen Marktdominatoren wie "orf.at" zu erarbeiten. Es geht auch nicht darum, einem populären, gut gemachten Produkt politisch den Garaus zu machen. Und schon gar nicht geht es um die den Verlagen polemisch zugeschriebene Hoffnung, alle User würden sofort zu den Zeitungsangeboten wechseln. Eine naive Annahme. Es geht – auch hier – um das Prinzip fairen Wettbewerbs: Zeitungen können ihre aufwendig erstellten digitalen Inhalte nicht verschenken. Sie können nicht – weder aus Selbstachtung noch aus ökonomischer Vernunft – frei zugänglich sein wie sämtliche Texte der ORF-Website, erstellt von einer hundertköpfigen Redaktion. Ohne Bezahlmodelle ist qualitativer Journalismus auf Dauer nicht refinanzierbar. Er stößt jetzt schon an Grenzen.
Vor diesem Hintergrund ist "orf.at" eine politisch hingenommene Gefährdung der Zeitungen. Weniger das Produkt selbst, sondern dessen öffentlich gestützter freier Zugang. Es ist ein staatliches Freibier-Produkt. Die Verminderung des Textanteils, vom ORF-Betriebsrat in einer dreisten Umkehrung als "demokratiepolitische Beschneidung" an die Wand gemalt, ändert an der Anmutung des Angebots nichts. Sie wird von den Usern kaum wahrgenommen werden. Die Nachrichtenplattform bleibt, was sie ist und fernab des gesetzlichen Auftrags nie hätte sein dürfen: eine mit öffentlichen Geldern finanzierte digitale Gratiszeitung mit neun Bundeslandfenstern.