Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Da stöhnen viele Menschen unter der größten Teuerung seit Jahrzehnten, wissen nicht mehr, wie sie ihre Wohn- und Energiekosten zahlen können, fürchten, dass sie künftig auf die eine oder andere Annehmlichkeit, etwa auf einen Sommerurlaub, verzichten müssen, haben Abstiegsängste – und die SPÖ, die sich die soziale Frage auf die Fahnen geheftet hat, profitiert in keiner Weise von dieser Ausnahmesituation. Im Gegenteil.

In Niederösterreich stürzt die ÖVP um sagenhafte zehn Prozentpunkte ab und verliert sogar die Absolute in Landtag und Landesregierung – erstmals seit 1945 muss die allmächtige Volkspartei auf Augenhöhe mit anderen Parteien Koalitionsgespräche führen. Eine echte Zeitenwende. Und die SPÖ, die ohnehin auf bescheidenem Niveau lag, legt nicht zu, sondern verliert noch mehr als drei Prozentpunkte.



Dass die FPÖ wenige Jahre nach Ibiza und diversen blauen Unregelmäßigkeiten durch die Decke schießt, mag unverständlich sein, muss aber allen Parteien zu denken geben. Die blauen Wähler als irregeleitete Weggefährten abzukanzeln, ist die dümmste Bestandsaufnahme, zu der man sich hinreißen kann. Das blaue Votum ist Ausdruck eines tiefen Misstrauens in eine Politik, die den Menschen verspricht, dass sie ohnehin alles im Griff hat, allerdings den Eindruck erweckt, dass sie in erster Linie dem eigenen Machterhalt verpflichtet ist. Dazu kommen noch kommunikative Fehler. Dass eine Bundesregierung fast 50 Milliarden zur Abfederung der Teuerung locker macht, die Menschen allerdings nicht das Gefühl haben, dass man ihnen unter die Arme greift, ist und bleibt eine Meisterleistung – im negativen Sinn.



Nach dem Wahlsonntag herrscht in der SPÖ Alarmstufe rot. Das liegt am suboptimalen Spitzenkandidaten und am nicht minder suboptimalen Wahlkampf. Die Tage von Parteichef Franz Schnabl – alias der rote Hanni – sind ohnehin gezählt. Seine Beteuerung am Wahlsonntag, er wüsste nicht, warum Feuer am Dach sei, hat seine Demontage nur beschleunigt.

Inhaltlich wabert die SPÖ ohnehin zwischen den Fronten. Bei der Migration weiß man zwar, wofür einzelne Protagonisten stehen, aber nicht, wofür die Partei steht. Einen Deckel bei der Energie sowie bei den Mieten zu fordern, während im roten Wien beides erhöht wird, unterminiert die eigene Glaubwürdigkeit.



SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner kann von Glück sprechen, dass in fünf Wochen Kärnten und in knapp zwei Monaten Salzburg wählt. Bereits am Sonntag scheint sich bei Freund und Feind die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass eine Personaldiskussion zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv ist, vor allem für Peter Kaiser, der den Landeshauptmannsessel in Kärnten zu verteidigen hat. In Salzburg droht der SPÖ ein ähnliches Schicksal wie in Niederösterreich, Tirol, Oberösterreich und Vorarlberg: dass sie von der FPÖ überholt und auf Platz drei verwiesen wird.

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Anders als etwa Sebastian Kurz ist es Rendi-Wagner nie gelungen, bei regionalen Wahlen für Rückenwind zu sorgen. Spätestens im Vorfeld der Nationalratswahl wird sich die Frage stellen, ob die SPÖ mit einer anderen Kandidatin, einem anderen Kandidaten größere Chancen besessen hat, nach sieben Jahren wieder ins Kanzleramt einzuziehen.

Das erfordert zuvor eine inhaltliche Neupositionierung, denn ein Wahlerfolg dürfte nur dann möglich sein, wenn es gelingt, vor allem der FPÖ Wähler abspenstig zu machen. Hier liegt das große Potenzial, nicht im vergleichsweise schmalen Wählersegment von Grünen, Neos, Liste Wlazny. Je linker sich die SPÖ positioniert, umso größer die Chancen von FPÖ-Chef Kickl, bei der Nationalratswahl als Erster durchs Ziel zu gehen. Und SPÖ/ÖVP oder ÖVP/SPÖ dann als "Koalition der Verlierer" Österreich in die nächste Legislaturperiode führen.