Evanesco! Wenn Harry Potter etwas verschwinden lassen will, spricht er diese Worte. Es scheint, als ob Bildungsminister Martin Polaschek in Potters Zauberlehre gegangen ist. Denn der Lehrermangel wirkt wie in Luft aufgelöst. 8070 offene Stellen konnten österreichweit für das neue Schuljahr besetzt werden, über 14.000 Bewerbungen wurden eingereicht. „Nur“ 100 Stellen seien noch offen, die mit Überstunden abgedeckt werden könnten. Das verkündete das Bildungsministerium. Zusätzlich beginnen 500 Quereinsteigende nach einem strengen Auswahlverfahren im September ihre Schulkarriere.

Vor zwei Jahren, und auch letztes Jahr vor Schulbeginn, hielt der Lehrermangel Österreichs Bildungswelt in Atem. Nun scheint sich die Schnappatmung in eine Yogaübung verwandelt zu haben. Die Experten im Ministerium sagen, sie hätten das Problem inzwischen besser im Griff. Wenn dem so ist (was sich spätestens zum Schulanfang in zwei Wochen zeigen wird) – Chapeau! Das Ministerium soll sich zu Recht mit Lorbeeren schmücken, dass die Initiative „Klasse Job“ (alle Einreichungen finden digital statt), die Rekrutierung von Quereinsteigern und die neuen Bedingungen im Lehramtsstudium Früchte tragen.

Aber, und es ist ein großes ABER: Die Gewerkschaft spricht von 300 offenen Lehrerstellen, wie sie allein aus einem Bundesland erfahren habe. Außerdem würde die ohnehin große Belastung vieler Lehrkräfte durch Mehrstunden, die den Unterricht aufrechterhalten sollen, steigen. Die Zahlen des Ministeriums wären nicht nachvollziehbar, nicht valide, heißt es.

Wie kann es sein, dass das Ministerium einen großen Erfolg verkündet, während die Gewerkschaft von einem weiterhin „eklatanten“ Lehrermangel spricht? Ja, Polaschek hat das Problem erkannt und Initiativen gestartet. Dass der Lehrermangel während seiner Amtszeit zu Buche schlägt, hat er sich nicht ausgesucht. Doch welche Zahlen er präsentiert, sehr wohl. Auch bei den Quereinsteigern zeigen sich zwei Seiten: Das Ministerium spricht von einer minimalen Drop-out-Quote. Aus Schulen hört man regelmäßig, dass die Quereinsteigenden sich zu wenig vorbereitet fühlen, viele mit dem Aufhören spekulieren. Ihren verpflichtenden Lehrgang an einer Pädagogischen Hochschule starten sie erst nach ihrem Jobeinstieg.

Neu sind jetzt zehn Tage Onboarding im August. Die Quereinsteiger mögen hoch qualifiziert sein und Berufserfahrung mitbringen (und ohne sie würden sechs Prozent aller neuen Lehrkräfte* fehlen!), aber die pädagogische Ausbildung eines Lehramtsstudiums lässt sich kaum auf zehn Tage komprimieren.

Der Druck nimmt nicht ab. Lehrkräfte können zunehmende Gewalt, Mobbing und Migrationsfragen nicht im Alleingang lösen. Geholfen wäre ihnen mit echten Worten und mehr Hilfe. Zu wünschen ist uns allen, dass das Ministerium mit seinen Zahlen recht behält. Denn niemand will „Incendio!“ hören. Kurze Nachhilfe in Potter-Zaubersprüchen: Incendio, ein Feuer entfachen.

*Hinweis: Hier hat in der Printversion des Leitartikels das Wort „neuen“ gefehlt, wir bitten um Entschuldigung!