Als Emmanuel Macron nach dem Erdrutschsieg von Marine Le Pens Rassemblement National bei den Europawahlen die Nationalversammlung auflöste und Neuwahlen ansetzte, traf das nicht nur die französischen Bürger völlig unerwartet. Viele Abgeordnete aus der Partei des Präsidenten waren so erbost über den politischen Stunt des Staatschefs, dass sie darauf verzichteten, sich auf den Wahlkampfplakaten gemeinsam mit ihm zu zeigen. An Macrons Kalkül, dass die Franzosen sich bei der Parlamentswahl gegen die Extreme entscheiden und noch einmal der pragmatischen Mitte den Vorzug geben, wollte niemand glauben.

Am Tag nach der Wahl sieht nun vieles anders aus. Die viele Jahre eingeübte, zuletzt aber totgesagte Republikanische Front gegen die Rechtspopulisten, hat auch diesmal gehalten. Der Rassemblement National landete nicht wie von den Umfragen vorhergesagt auf Platz eins, sondern wurde nur drittstärkste Kraft.

Mit dem Dämpfer für die Rechtspopulisten werden nun auch schon die ersten Stimmen laut, die Macrons Schachzug plötzlich wohlwollend kommentieren. Doch als Erzählung über die Rettung der politischen Mitte taugt das Wahlergebnis nur bedingt. Denn statt Marine Le Pens politischem Zögling Jordan Bardella wird jetzt mit Jean-Luc Mélenchon ein linkspopulistischer Scharfmacher die französische Politik als Strippenzieher im Hintergrund entscheidend mitbestimmen. Als stärkste Kraft innerhalb des siegreichen Linksblocks hat seine Partei Unbeugsames Frankreich der Tradition nach nicht nur Anspruch auf das Amt des Premiers, sondern ist auch darüber hinaus der Taktgeber.

Mélenchons inhaltliche Agenda und sein kompromissloser Politikstil könnten Frankreich dabei an den Rand der Unregierbarkeit bringen. Die sozialpolitischen Pläne des ehemaligen Trotzkisten – sei es nun eine Schubumkehr bei der Pensionsreform oder deutliche Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst – werden sich angesichts des jetzt schon aus dem Ruder laufenden Staatsbudgets kaum finanzieren lassen. Außenpolitisch steht Mélenchon für das krasse Gegenteil dessen, wofür Frankreich sich in den vergangenen Jahrzehnten starkgemacht hat.

Dass Mélenchon für sein Programm Bündnispartner findet, ist wenig wahrscheinlich. Denn die Kluft ist nicht nur zu den Macronisten riesengroß. Auch mit der Parti socialiste und den Grünen hat Unbeugsames Frankreich in vielen wesentlichen Bereichen kaum Schnittmengen, die gemeinsame Wahlallianz wurde vor allem deshalb gebildet, weil jede Partei darauf hoffte, auf diese Weise in den einzelnen Wahlkreisen mehr Mandate erobern zu können.

Für Macron wird es nun daher darauf ankommen, die extremsten Ausschläge zu verhindern oder sogar proeuropäische Allianzen jenseits von Mélenchon zu finden. Die Einhegung des linken Volkstribunen könnte sich dabei aber womöglich als schwierigere Aufgabe als die Verhinderung von Le Pen erweisen.