Es ist schon wieder gut fünf Jahre her, da sagte der damalige Innenminister Herbert Kickl den bemerkenswerten Satz: „Das Recht muss der Politik folgen, nicht die Politik dem Recht.“ Die Aufregung war riesengroß, man verwies auf das Legalitätsprinzip in der Verfassung, wonach staatliche Verwaltung nur auf Basis von Gesetzen zulässig ist.

Doch die grüne Klimaministerin scheint beim blauen Ex-Minister gelernt zu haben. Leonore Gewesslers einsamer Entschluss, für das EU-Renaturierungsgesetz zu stimmen, folgt der Kickl-Doktrin vom Vorrang der Politik. Die Grüne begründet den Schritt mit „Gewissensgründen“ und deutet damit, ähnlich den Klimaklebern, eine Art übergesetzlichen Notstand an. Das ist gefährlich, denn es offenbart die Entschlossenheit, sich von irgendwelchen formalen juristischen Einwänden sicher nicht aufhalten zu lassen. Das ist bei auf der Straße sitzenden Jugendlichen gefährlich, bei einer Ministerin mit Handlungsvollmacht umso mehr.

Man kann einwenden, dass ja noch offen ist, wer formal im Recht ist und wer nicht. Die Lage ist kompliziert, der Fall beispiellos. Die Gerichte werden ihn irgendwann klären, und das wird dann kaum mehr wen interessieren.

Entscheidend im Hier und Heute ist, dass Gewessler vorsätzlich bereit war zum offenen Alleingang gegen die Rechtsansicht des dazu berufenen Verfassungsdienstes. Sie leistet damit den bedenklich zunehmenden Tendenzen Vorschub, beim Klimaschutz sozusagen die Geduld mit dem Rechtsstaat und den umständlichen Koalitionsverhandlungen zu verlieren und nach Gutdünken Ho-Ruck-Fakten zu schaffen.

Der Wildwest-Klimaschutz wird ihr gewiss parteipolitisch nützen, denn in grünen Kernschichten hat sie damit ihren Heldenstatus weiter gefestigt: Endlich eine, die etwas tut! Aber der Preis ist hoch. Er besteht darin, dass das ohnehin brüchige Vertrauen der Bürger in die rechtsförmige Verlässlichkeit staatlichen Handelns weiter erodiert.

Und die ÖVP? Sie steht begossen da, paradoxerweise zugleich als Blockierer-, Betonierer- und Bauernpartei. Schuldlos ist sie nicht, denn politisch war sie im Vorfeld zu unbeweglich und taktisch-handwerklich mindestens patschert. Man hat die Falle nicht gerochen. Gemeinsam mit den Bauern hätte sie sich auch als der besserer grüner Vorreiter positionieren können. Man erinnere sich an die „ökosoziale Marktwirtschaft“ Josef Rieglers oder an Josef Prölls Feinkostladen Europas.

Die absolute Verteufelung des Renaturierungsgesetzes (angeblich: bedrohte Ernährungssicherheit, Massenenteignungen) ist sachlich nicht gerechtfertigt, denn es war ja im Vorfeld  gelungen, dem Gesetz weitgehend die Zähne zu ziehen. Doch die ÖVP-Führung hat nach fünf Jahren Grün-Regierung offenbar genug. Sie hat wieder Sehnsucht nach Verbrennermotor, Glyphosat und konventioneller Industrie- und Standortpolitik. Ein riskantes Spiel, aber für uns Wähler ist es von Vorteil: Wir haben diesmal stilistisch und inhaltlich wirklich breite Auswahl.