Guten Morgen, geschätzte Leserinnen und Leser!
Mit verletztem Knie nach einem Sturz in die Notaufnahme eines Spitals gehumpelt. Zuvor bei Dr. Google Rat gesucht. Und als Folge Eigendiagnosen bis zum für immer geschädigten Bein gestellt. Ich weiß: Die Tochter würde über mich den Kopf schütteln. Wie viele Ärzte den Kopf schütteln, wenn ihnen Patienten nach der Diagnose mit ernster Miene erklären, dass sie die Diagnose jetzt einmal im Netz nachprüfen würden. Ja, eine solche Reaktion ist keine Ausnahme mehr, wie mir eine Ärztin erzählte. Zwischendurch würden auch Patienten wie ich kommen, die die Diagnose bereits zu wissen glauben. Letztere wären angenehmer, weil sie ihr fast um den Hals fallen, wenn die Google-Diagnosen nicht zutreffen.
Kurz erzählt: Alle Horrordiagnosen lösten sich in Luft auf. Das Warten auf der Notaufnahme möchte ich dennoch nicht missen. Ein Mann kommt mit einem blutdurchtränkten Verband am Kopf. Eingetrocknetes Blut, keine frische Wunde. Der Mann will nur den Verband wechseln. "Sie wissen aber schon, dass Sie auf einer Notaufnahme sind, ich sage Ihnen gleich, dass Sie einige Stunden warten müssen", meint der Arzt, der mit viel Geduld jeden Eintreffenden befragt. Der Mann mit dem Verband grummelt etwas vor sich hin und setzt sich. Neben ihm öffnet sich die Schiebetüre des Behandlungsraumes, vier Justiz-Wachbeamte durchqueren den Warteraum mit einem Häftling – Hände in Ketten, Beine in Ketten. Eine ältere Frau telefoniert dennoch weiter – mit Lautsprecher: "Ja, ich warte jetzt schon zwei Stunden, dabei brauche ich nur eine Kontrolluntersuchung." Die Angerufene meint: "Da musst warten, da bleibt dir nichts anderes übrig, du bist ja auf der Notaufnahme."
Bleibt die Frage, die sich nicht nur Ärzte stellen: Warum so viele ohne wirkliche Not die Notfallstation belagern. Meine Untersuchung dauerte übrigens rund fünf Minuten. Eine junge, sympathische, gut gelaunte Ärztin tastete das verletzte Knie ab, drehte es, streckte das Bein, kommentierte jeweils alles mit einem aufbauenden "sehr gut".
Eindeutig: kein Notfall.
Was ich nach diesem Besuch dachte? Wie dankbar wir sein können, in einem Staat zu leben, in dem trotz aller Probleme im Spitalsbereich auch in der Nacht und an Feiertagen binnen Stunden eine Erstbehandlung möglich ist. Und wie essenziell es ist, die Notsituation an den Spitälern mit gesperrten Betten und fehlendem Pflegepersonal in der politischen Prioritätenliste trotz Inflations- und Teuerungsdebatten an erste Stelle zu reihen. Nicht nur am morgigen internationalen Tag der Pflege.
Wie meinte kürzlich ein Wirtschaftswissenschaftler? Der Wohlstandsbegriff würde zu eng gesehen. Er bedeute nicht nur die Höhe des Einkommens, es zähle mehr dazu – die Sicherheit in einem Land, Schulen, die 24-Stunden-Gesundheitsversorgung in Spitälern, die Landschaft, Freizeit. Wird alles zu oft als Selbstverständlichkeit empfunden – oder im aktuellen Dauerkrisenmodus wegen Teuerungsdebatten nicht einmal mehr wahrgenommen. Stichwort Teuerung: Wie schnell Schlagzeilen überholt sind, zeigt sich in unserer heutigen Ausgabe. Auf "Keine Entlastung für Konsumenten" nach dem Lebensmittelgipfel am Montag folgt nun vor dem morgigen Sonder-Nationalrat zum Thema Teuerung ein Anti-Teuerungspaket. Alle Details des Pakets finden Sie in unserer heutigen Ausgabe.