Ihr Urteil kann manchmal hart, um nicht zu sagen "vernichtend" sein. Das liest sich dann so: "Dieser Bericht ist wieder mal so wichtig wie ein darmentlüftender Luftzug irgendeines Menschen!", schreibt ein User im Kommentarforum zu einer gestern auf kleinezeitung.at erschienenen Online-Geschichte mit dem Titel "Victoria Swarovski zeigt erstes Bild ihres neuen Liebesglücks". Reingelesen hat der User aber offenbar schon bzw. sich zumindest die Mühe gemacht, im Forum aktiv zu werden. In dem Artikel geht es um Victoria Swarovski, Moderatorin ("Let's Dance") und Sängerin (ihr musikalisches Œuvre muss man nicht gehört haben), die neuerdings mit dem Red-Bull-Erben Mark Mateschitz liiert ist oder sein soll. 

In einemInstagram-Posting mit dem fast schon lyrischen Text "No-Bunny compares to you" bestätigt Swarovski das jetzt – oder will zumindest, dass weiter darüber geredet wird. Jedenfalls sieht man da die Rückansicht eines vertraut wirkenden Paares (inklusive Schildkappe mit Energydrink-Hersteller-Logo) mit Blick auf den Tafelberg hinter Kapstadt. Südafrika-Aficionados werden sofort erkennen, dass das Foto auf dem Lions Head entstanden ist. "Red Bull verleiht Flügel", fällt dem Comedian Oliver Pocher (dessen Frau Amira aus Klagenfurt stammt und hier im Podcast zu hören ist) zu dem Posting ein. "Freu mich für euch", schreibt der unvermeidliche DJ Ötzi dazu. Und auch viele andere B- bis F-Promis ("bekannt" aus diversen Casting- und Realityshows oder Daily Soaps) sind unter den Social-Media-Gratulanten. Kurz über dieses neue vermeintliche Traumpaar der Hautevolee zu berichten, ist nicht die höchste journalistische Kunst – mehr Interesse als ein "darmentlüftender Luftzug" weckt die Meldung jedoch schon. Um präzise zu sein, sogar deutlich mehr Interesse als jeder andere Artikel, der am Ostersonntag auf unserer Website veröffentlicht wurde. Das kann man bedenklich finden, vielleicht freuen sich aber einfach viele Menschen über das Liebesglück anderer.

Auf Platz 2 unserer Zugriffsstatistik von gestern wären wir dann wieder beim "Luftzug": "Die Kleine Zeitung wird trotzdem weiterhin jede Blähung dieser Frau veröffentlichen", schreibt ein User zum Artikel "Deutsches Magazin zieht über Melissa Naschenweg her", der bereits am Karsamstag online ging. Auf sechs Seiten versucht der "Stern", die Kärntner Schlagersängerin zu porträtieren, ihr kritische Fragen zu stellen und einzuordnen, warum Naschenweng sich auch in Deutschland zunehmender Beliebtheit erfreut. Auch in unserem Forum wird das kontrovers diskutiert – sogar die einst im "Stern" veröffentlichten gefälschten Hitler-Tagebücher werden bemüht, dazu bekommen wir, die Kleine Zeitung, in Postings wie "War das jetzt die wöchentliche Naschenweng Hagiografie?" oder "Gefühlt alle 2 Tage kommt ein Naschenweng Artikel in der KLZ. Ist die Redaktion der offizielle Fanklub?" unser Fett ab. Naschenwengs "Heile Welt"-Inszenierung und Frauenbild haben wir übrigens hier schon einmal in einem ausführlichen Interview kritisch hinterfragt.

Ich verrate nicht zu viel, wenn ich berichte, dass auch in unseren Redaktionskonferenzen immer wieder leidenschaftlich über die "Dosis" an "Naschenweng-Content" diskutiert wird – auch weil die Zugriffszahlen nur einer von mehreren Parametern für die inhaltliche Gestaltung unserer Website sind. Von "Relevanz" ist da dann oft die Rede. Faktum ist, dass die Frau aus dem Lesachtal eine Quotenbringerin ist. Warum, das wissen wir selbst noch immer nicht so genau. Es ist wohl eine Mischung aus regionaler Verwurzelung, Sehnsucht nach einer komplexitätreduzierten Welt, Heimatgefühl, Freiheitsempfinden auf der Alm, eingängigen Rhythmen, etwas nackter Haut und bewusster Polarisierung. 

Der wunderbare Kollege Bernd Melichar hat das kürzlich so beschrieben: "Phänomene zeichnen sich dadurch aus, dass man sie nicht erklären kann. Also sollte man auch im Fall von Melissa Naschenweng keine groß angelegten Tiefenbohrungen veranstalten und verkopfte Erklärversuche starten." Oder wie eine Userin schreibt: "Besser täglich Naschenweng als täglich Teuerung, Energiekrise und Krieg." Möglicherweise ist die Antwort so einfach.