Am Wochenende über das Facebook-Posting einer Gratiszeitung gestolpert. "Zum Glück bin ich nicht schwanger geworden, das wäre ganz schrecklich gewesen", war da zu lesen. Zitiert wird eine gewisse Natascha Kampusch. In dem verlinkten Artikel ist über einen Auftritt der 35-Jährigen in der Show von Leeroy Matata, ehemaliger Profi-Rollstuhlbasketballer und heute einer der erfolgreichsten Youtuber Deutschlands, die Rede. Dort erzählte Kampusch über die Gewaltausbrüche ihres Entführers Wolfgang Priklopil, sexuellen Missbrauch durch ihren Peiniger und die Angst, schwanger zu werden. Als Zehnjährige war sie entführt worden, 2006 entkam sie nach acht Jahren Gefangenschaft ihrem Entführer.

Eine kleine Auswahl der Kommentare zu dem Posting: "Wie viele Kinder haben das gleiche Schicksal? Nur keiner hat es gesehen oder gehört." – "Keine Frage, es ist schlimm, was ihr passiert ist, aber muss sie es immer wieder erzählen? Meiner Meinung nach ist sie einfach nur geldgeil!" – "Trotzdem muss sie brav präsent bleiben, soll was arbeiten gehen." – "Jetzt auf einmal wurde sie sexuell missbraucht. Eh klar, was sonst – ziehen die anderen Geschichten nicht mehr, was sie sonst so erzählt hat?" – "Bla bla, wie bedürftig ist man, dass man diese Geschichte gefühlt alle drei Jahre aufwärmt – soll wen nerven, den das noch interessiert. Ich hoffe, sie liest das und wandert aus." – "Was würde die Öffentlichkeit erfahren, wenn 'er' noch leben würde?" Einige Userinnen und User halten dann doch dagegen: "Unfassbar, was man hier liest! Ich möchte mich stellvertretend für alle, die glauben, das Recht zu haben, über diese Frau zu urteilen, entschuldigen!"

Auch nach all den Jahren ist der Hass, der dieser Frau entgegenschlägt, schwer zu fassen. "Können Sie der Öffentlichkeit den ganzen Hass verzeihen?", hat unsere Podcast-Chefin Barbara Haas vor einigen Wochen Kampusch gefragt. Im hörenswerten Gesellschaftspodcast "fair & female" antwortet Kampusch: "Man kann der Gesellschaft verzeihen." Eine reflektierte Frau, die zur Projektionsfläche wurde, weil sie nach ihrer Selbstbefreiung nicht so recht in die Kategorie "Opfer" passte und nicht aus der Öffentlichkeit verschwand. Sie ist nach wie vor präsent, schreibt Bücher, designt Schmuck, gibt Interviews. Eine Tatsache, die manche Menschen nervt, sie sogar wütend werden lässt. 

Über den Hass, den sie erfahren muss, sagt Kampusch: "Die wollten ja haben, dass ich irgendwo im stillen Kämmerlein versinke und einfach den Mund halte. Gerade, dass man nicht meine Steinigung geplant hatte." Man wolle "die Frau als dummes Objekt darstellen", einhergehend mit vielen Gerüchten, Verschwörungstheorien, "Sexismus, Chauvinismus, Misogynie, Verrohung, Herabwürdigung", sagt Kampusch. "Ich habe meine Wege gefunden, damit umzugehen."

Der Hass in der Gesellschaft wird bleiben – auf sie und auf andere und anderes, das nicht in das vorurteils- und diskriminierungsbeladene Bild zu vieler Menschen passt. Toleranz und differenziertes Denken sind leider zu oft Fehlanzeige, wie sich auch in vielen anderen Gesellschaftsbereichen zeigt. Keine erbaulichen Aussichten.

Einen vorurteilsfreien Wochenstart wünscht

Wolfgang Fercher