Wo bleibt der Aufschrei? Diese Frage stellt Düzen Tekkal. Die Journalistin bezieht sich auf eine Nachricht, die Ihnen vielleicht untergekommen ist. Beim Durchblättern dieser Zeitung oder beim Scrollen durch Ihren Feed: 14.000 Menschen im Iran droht die Todesstrafe. Der Grund? Sie haben ihre Stimme erhoben – bei Demonstrationen nach dem Tod von Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen wurde, weil sie ihren Hidschab nicht richtig trug. Stunden später war die junge Frau tot.
Nachdem bei Protesten bereits mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen sind, droht nun also 14.000 Inhaftierten der Tod. „Warum ist das nicht die dominierende Schlagzeile der Zeitungen weltweit?“, fragt Tekkal. Berechtigte Frage. Wie kann es sein, dass es noch immer Länder gibt, in denen sich Frauen strafbar machen, wenn sie ihr Haar zeigen? Länder, in denen Frauen nicht ohne Erlaubnis das Haus verlassen dürfen? Und: Wie kann es sein, dass diese Nachricht vielen nur am Rande begegnet?
Das Internet beschleunigt den Nachrichten-Zyklus. Gerade noch blickte die Welt auf Afghanistan – auch hier wurden vor allem Frauen sozial Jahrhunderte zurückgeworfen. Dann brach in der Ukraine Krieg aus. Und nach Iran liegt nun ob der anstehenden WM der Wüstenstaat Katar im Fokus. Doch in Afghanistan wüten weiterhin die Taliban, der Krieg hat die Ukraine fest im Griff und die Lage im Iran ist kritisch. Betroffene haben nicht den Luxus, mental weiterzuziehen. Sie bleiben mit dem Scherbenhaufen zurück. Angesichts dieser Nachrichten fühlt man sich als Rezipientin und sogar als Medienschaffende zeitweise ohnmächtig.
Doch die Annahme, dass ein Aufschrei ins Leere verhallt, ist ein gefährlicher Trugschluss. Soziale Netzwerke mögen den Nachrichten-Zyklus zwar beschleunigen, doch sie sind auch ein Instrument der Macht. Es liegt sowohl an jenen, die Medien bespielen, als auch an jenen, die sie konsumieren, Missstände nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Also: Halten Sie beim Durchblättern oder Scrollen inne. Um Petitionen zu unterschreiben, Postings zu verfassen oder zu spenden. Das mögen kleine Schritte sein, aber sie bringen ein großes Echo.
Iraner in Österreich: "Ihr könnt unsere Stimme sein"
Claudia Mann