Vor ein paar Tagen die Töchter schnell zum Hauptbahnhof in Graz gebracht und in den Zug nach Bregenz gesetzt. Dort warten die Großeltern und zwei wunderbare Wochen am Bodensee auf sie. Auf dem Weg zum Bahnsteig vier dem Erzbischof von Salzburg über den Weg gelaufen und kurz geplaudert. 

Die eigentliche Überraschung war aber nicht der Primas Germaniae in unprätentiösem Zivil. Es war die Heftigkeit, mit der mich jedes Mal das Fernweh überfällt, sobald ich den Geruch angebrannter Bremsen und der mit wer-weiß-womit getränkten Bahnschwellen in die Nase bekomme und das Kreischen der einfahrenden Züge auf den Gleisen höre.

Es ist jetzt lange her. Aber für viele Jahre war dieser Bahnhof mein sommerliches Tor zur Welt – nach Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, die Türkei und Griechenland. Fast zwei Tage lang dauerte die Fahrt nach Istanbul, eineinhalb Tage die nach Athen. Spätestens ab Zagreb war der Zug heillos überfüllt, ab Niš meinte man, vor Hitze umkommen und am Zigarettenqualm ersticken zu müssen, und von Saloniki weg waren die Waggons ein einziges Schlachtfeld.

Die Namen der Bahnhöfe, in denen die Züge Halt machten, atmeten die Poesie unerfüllter Sehnsüchte: Venezia Santa Lucia, Verona Porta Nuova, Genova Piazza Principe, Lyon Part-Dieu, Madrid Atocha, Istanbul Sirkeci. Unvergesslich die unzähligen Begegnungen. Einmal, ich glaube es war in Toulon, stürmte ein Sonderkommando der französischen Gendarmerie mein Abteil und führte in Handschellen den freundlichen Herrn ab, der mir gegenübersaß. Ein anderes Mal schlief ich zwischen Turin und Alessandria völlig übermüdet ein und wachte mit dem Kopf auf dem Schoß der älteren Signora neben mir auf.

Mein alter Bekannter Paolo hat mit dem Schiff den Po befahren, die Alpen auf den Spuren Hannibals überquert und ist über die Via Appia nach Brindisi gewandert. Er hat recht, wenn er meint, Ziel des Reisens sei es, sich über die Begegnung mit anderen Menschen selber kennenzulernen. Wer reist, setzt das, was er mit seinen fünf Sinnen aufnimmt, also sieht, hört, riecht, schmeckt und ertastet, unablässig in Beziehung zu sich selbst und verortet sich auf diese Weise in Raum und Zeit – in der Welt. Er stößt in neue, fremde Länder vor, erkundet dabei aber stets auch die unerforschten Kontinente seiner eigenen Seele. 

Deshalb kann ich bis zum heutigen Tag nicht die Reisenden verstehen, die möglichst rasch ihre Urlaubsdestination erreichen wollen, um dann vierzehn Tage lang mit unbekannten Landsleuten an einem öden Hotelpool abzuhängen. Das Kostbarste am Reisen war für mich immer das Unterwegssein, und war es noch so kräftezehrend.

Nicht im Traum würde ich auch nur eine der Nächte, die ich ab Bruck an der Mur mit meinem treuen Freund und Reisegefährten Ingomar stehend, aber glücklich im engen, stickigen Gang des „Romulus“ verbrachte, gegen den Schreckensmoment eintauschen, wenn im Urlaubsbomber nach geglückter Landung der Applaus aufbrandet. Im Zug klatscht niemand, wenn er in den Endbahnhof einfährt. Auch das ein Grund, die Eisenbahn zu lieben.

Sollten Sie heute verreisen, dann wünsche ich Ihnen schöne Tage im In- oder Ausland. Falls Sie aber zuhause bleiben, empfehle ich Ihnen die fulminante Rede nachzulesen, die Ilija Trojanow, ein großer Reisender, zur Eröffnung der Salzburger Festspiele gehalten hat.

Herzlich,