Liebe Leserin, lieber Leser!
Als wir vor gut sieben Jahren unseren neuen Newsroom in Graz eroberten, kam dem Chefredakteur ein besonderes Privileg zu: Er durfte sein Büro in einem schicken Glaskobel beziehen und selbigen sowie das rundum einsehbare Konferenzzimmer mit lustigen Sprüchen bekleben. In großen Lettern prangen dort nun Zitate von Peter Handke, der im Gespräch mit dem Chef über die Bedeutung des Regionaljournalismus sinnierte. Aber auch die Mahnung eines Lesers hat sich eingeprägt: „Bedenken Sie beim Zeitungsmachen bitte, dass die Sonne jeden Tag auch auf- und nicht nur untergeht!“
Derzeit laufen wir Gefahr, dies gern zu vergessen, sind die drei K-Plagen der Gegenwart doch omnipräsent: Krieg, Krankheit und Klimawandel. Im krampfhaften Bemühen, den Nachrichtenstrudel aus Bombenhagel, Neuinfektionen und Wetterkapriolen zu bändigen, unterbleibt mitunter der Blick auf das Positive - auf Meldungen, die Mut machen, Hoffnung geben oder einfach nur unterhalten.
Wie essenziell diese Balance in der Berichterstattung ist, belegt auch der kürzlich erschienene Reuters Digital News Report 2022 mit seiner umfangreichen Vermessung der globalen Mediennutzung. Eine der Hauptthesen darin lautet: Immer mehr Menschen vermeiden es bewusst, Nachrichten zu lesen, zu sehen oder zu hören. So gaben 38 Prozent der 93.000 Befragten an, bad news oft gezielt aus dem Weg gehen, da sie das eigene Wohlbefinden verschlechtern. 2017 lag dieser Wert in Österreich noch um 24 Prozent, heute zeigt die Skala 39 Prozent. In Brasilien und dem Brexit-geplagten Großbritannien hat sich der Anteil in den vergangenen fünf Jahren sogar verdoppelt – auf 54 beziehungsweise 46 Prozent.
Weil auch das Vertrauen in klassische Medien weiter sinkt (Schlusslicht USA mit 23 Prozent Zuspruch, Österreich 41 Prozent) und die jungen Leserinnen und Leser ihre Informationen überwiegend aus sozialen Netzwerken beziehen, schrillen in vielen Verlagen die Alarmglocken. „Constructive Journalism“ heißt das Schlagwort der Stunde - eine lösungsorientierte, unterstützende und zugewandte Form der Nachrichtenvermittlung ist nun gefragt. Journalisten müssen dabei ihr Bestreben verstärken, die zunehmende Komplexität der Welt verständlicher zu machen, Zusammenhänge einfacher zu erklären und Auswege aufzuzeigen. Ansonsten könnte nicht nur das publizistische Geschäftsmodell bröckeln, sondern auch die Gesellschaft nachhaltig Schaden nehmen.
Denn demokratische Teilhabe setzt Wissen voraus. Wer den Nachrichtenkonsum vermeidet oder in den Echokammern der Social Media verharrt, verschließt die Augen vor dem, was auf der Welt passiert – und seien es auch Schrecklichkeiten wie Kriege oder Hungersnöte. Er bleibt passiv und blind gegenüber allem, was da kommen mag. Wer sich aber kundig macht, kann etwas bewirken, Dinge zum Besseren verändern und die Gemeinschaft mitgestalten. Demokratie braucht den Input von Informierten, ansonsten ist auch sie ernsthaft bedroht.
Einen erkenntnisreichen und vergnüglichen Sonntag, hoffentlich mit der Lektüre der Kleinen Zeitung, wünscht