Gütige und begünstigt Begüterte!
Wir Menschen des Hier und Jetzt lebten bisher im Zustand gesättigter Indifferenz. Freiheit wird von uns oft als entpflichtete Beliebigkeit gedeutet. Es ist keine Gesellschaft des absolut Guten oder Bösen, sondern eine Licht- und Schattenwelt mit der jederzeitigen Option auf Erfolg oder Absturz. Neid, Hass und Missgunst begrenzen das Spielfeld auf der einen Seite. Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt weisen den Weg auf der anderen. Im Dschungel dazwischen verorten wir uns als gewiss unvollkommene, fehlbare, oft ungerechte, aber auch zu Liebe und Selbstlosigkeit fähige Wesen.
Die Widersprüche, Verwerfungen, Gegensätze könnten unter dem wachsenden Druck der Verhältnisse künftig deutlicher herausapern. Mangel oder gar bittere Not haben wir ja nie gekannt. Es fehlt uns die praktische Erfahrung des Verzichts, vielleicht sogar der Wille zur Geduld, wenn Wünsche nicht sofort erfüllt werden. Der breite Wohlstand der letzten Jahrzehnte wirft dort Falten, wo der Zusammenhang zwischen Leistung, Verfügbarkeit und Ertrag gebrochen ist. Zwar stehen wir stets im Kraftfeld aus Geben und Nehmen. Doch ein wachsender Teil von uns hat sich womöglich damit begnügt, Ansprüche zu sichern und Forderungen zu betreiben.
Sollten die Versorgungsketten reißen, dann wird viel Gewicht an einigen dünnen Sicherungsseilen hängen. Eines davon ist das Wissen, dass wir täglich darüber entscheiden, ob wir uns den hellen oder den dunklen Seiten unseres Wesens zuneigen. Frei nach der alten Pfadfinder-Formel „Jeden Tag eine gute Tat“ könnte das unsere Fahrkarte in die Zukunft sein: Jeden Tag einmal ein Recht nicht ausreizen, auf einem Anspruch nicht bestehen, mehr geben als geschuldet, weniger nehmen als gebührt. Ein Geschenk machen, eine Hilfe leisten, absichtsloses Wohlwollen versprühen. Und sich selbst vielleicht etwas weniger wichtig nehmen. Hinreichend begünstigt sind wir ja, um die Gunst mit Güte zu vergelten. Vielleicht erfahren wir am Ende verblüfft eine Neuvermessung dessen, was uns reich macht.
Schönes, Wahres und Kühles wünscht