Unerfindlich Empfindsame und findige Befindliche!
Der SPÖ-Bezirksvorsteher von Wien-Donaustadt, Ernst Nevrivy, hatte am Wochenende seine Viertelstunde Berühmtheit: In einer Parteitagsrede bezeichnete er Kritiker der umstrittenen Bauprojekte Lobautunnel und Wiener Stadtstraße als „Heisln“. Das war für manche Lordsiegelbewahrer der politisch korrekt verhunzten Worthülsensprache offenbar schon zu viel. Nach diesem „Sager“ seien die Wogen hochgegangen, es habe heftige Kritik am Urheber gegeben, war am Sonntag und auch noch am Montag den Medien zu entnehmen.
Der an sich minder erhebliche Vorfall zeigt vor allem eines: Wir laufen Gefahr, eine Gesellschaft der überempfindlichen Mimosen zu werden, der bereitwillig Beleidigten, die sich schon bei kleinsten Anflügen von Emotionalität theatralisch in die Opferpose werfen. Zwar ist manches im täglich wachsenden Verbotskanon dessen, was man nicht mehr straflos sagen darf, zu Recht verpönt, weil sich darin grobe Verächtlichmachung oder strukturelles Unrecht verbergen. Aber längst schon wird immer öfter geifernd übers Ziel geschossen. Das hat schon 2017 der Philosoph Robert Pfaller in seinem wunderbaren Buch „Erwachsenensprache“ bloßgelegt.
In Nevrivys Rede gab es manche Passage, die inhaltlich angreifbar war – etwa, als er Wissenschaftlern ausrichtete, sie seien „keine Experten“. Darüber sollte man unbedingt streiten. Aber „Heisln“?! Das muss man problemlos aushalten als „pointierte, erdige Wortmeldung“ (so nannte es trefflich Bürgermeister Michael Ludwig). Denn wenn das nicht mehr geht, werden Politiker noch mehr zu klinisch aseptischen Sprechblasenautomaten, denen niemand mehr zuhört, weil sie keiner versteht. Diese Art „Sauberkeit“ wäre dann wirklich Gift – für unsere Diskussions- und Streitkultur.
Unstrittiges am Dienstag wünscht