Unsere heutige „Einser“ bringt auf den Punkt, was Karl Nehammer am dringendsten nötig hatte: eine „maximale Mutinjektion“. Denn nach einer Woche im Schleudergang, die den Kanzler immer schneller und schneller rotieren ließ, wurde er auf einer Welle der Einstimmigkeit doch noch sanft und erhobenen Hauptes in den Feiertag gespült.
Der ÖVP-Parteitag am 14. Mai sollte ursprünglich ein Routinetermin sein. Man wollte den Bundeskanzler endlich auch formell zum Bundesparteiobmann der Volkspartei küren und das Kapitel Sebastian Kurz ein für alle Mal schließen - einzig die Farbe Türkis durfte als Reminiszenz an dessen Wahlsiege bestehen bleiben. Der Konvent in der Grazer List-Halle sollte außerdem früh enden, um prominenten Delegierten noch die Anreise zum Steirerball in Wien zu ermöglichen.
Doch zuerst durchkreuzten die Corona-müden Ballorganisatoren mit einer Absage der Walzerseligkeit die Pläne, dann tauchte plötzlich der globetrottende Altkanzler wieder aus der Versenkung auf. Eine Woche vor dem Parteitag gab Sebastian Kurz den gut gelaunten Gratulanten für Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, der seinen 70. Geburtstag im Beisein der halben Regierungsspitze nachfeierte. Bis spät in die Nacht harrte Kurz zwischen Nach-Nachfolger Nehammer und seinem Dolchstoß-legendären Expartner Kogler aus. Tags darauf sollte der Jungvater in einem Interview allerdings freundlich-formatfüllend versichern, dass er sich unwiderruflich und endgültig aus der Politik verabschiedet habe.
Der Montag schaltete dann einen Gang zu. Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger setzte mit ihrer überraschenden Rücktrittserklärung das Postenkarussell in Rotation. Die Ministerin der zahllosen Agenden riss im Strudel des Abgangs auch noch die glücklose Margarethe Schramböck mit. Nehammer wurde zur raschen Reaktion gezwungen, da jeder Tag des Zuwartens auf eine Nachfolge als Entscheidungsschwäche des Bundeskanzlers ausgelegt worden wäre. Pflichtbewusst enthüllte er also schon am Dienstag die neuen Gesichter im Kabinett.
Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian brachte mit seinem Kommentar: „Ich komme mit dem Merken der Namen nicht mehr nach“ die Stimmung der Österreicher auf den Punkt. So schnell wie diese Regierungsmannschaft werden nicht einmal sieglose Fußballmannschaften ausgetauscht: Seit Amtsantritt der türkis-grünen Koalition im Jänner 2020 wechselten 14 der 17 Regierungsmitglieder ihren Job.
Am Mittwoch war also wieder einmal Fließbandarbeit in der Hofburg angesagt. Alexander Van der Bellen hat inzwischen auch eine imposant-inflationäre Bilanz vorzuweisen: Seit seinem Einzug in die Hofburg im Jänner 2017 hat er 68 Regierungsmitglieder angelobt, mit dem Nachzügler Norbert Totschnig werden es 69 sein. Ein starkes Indiz, dass er bei den Bundespräsidentenwahlen wieder antreten sollte, um Nehammer-gleich den Hunderter zu schaffen – oder zumindest sein Panini-Album „Meine angelobten Minister“ weiterzukleben.
Den Donnerstag nützte der Kanzler dann zur überraschenden Offensive: Zuerst wurde ÖVP-Klubchef August Wöginger mit Grünen-Alter Ego Sigrid Maurer und Gesundheitsminister Johannes Rauch vorgeschickt, um die seit Jahren verschleppte Pflege-Reform zu verkünden. Danach übertönte Nehammer sogar die unliebsamen Zwischenrufe aus U-Ausschuss und Vorarlberger Landtag mit einer Kampfansage gegen den Kreml: Wenn Gazprom seine Gasspeicher in Österreich nicht auffülle, werde es diese an andere Firmen verlieren, drohte der Regierungschef im Interview mit Veronika Dolna und Michael Jungwirth, das tags darauf seinen Weg über Deutschland bis nach Russland fand.
Mit dem historischen Parteitagsvotum von 100 Prozent hat sich die Reihe hinter Nehammer gestern dicht geschlossen. Nach einer Woche voller Turbulenzen schwimmt der krisengebeutelte ÖVP-Chef wieder sicher obenauf. Es scheint aber wenig wahrscheinlich, dass er deswegen gleich in den Schongang wechseln darf.
Schönen Tag wünscht