Seitdem ich vor der Präsidentschaftswahl für eine Reportage in Frankreich war, habe ich mir angewöhnt, in der Früh nach dem Morgenjournal auf dem Weg in die Redaktion auf den Kanal „France Info“ umzuschalten. Ich mag es, wie die Kolleginnen und Kollegen aus Paris Nachrichten machen: frisch, pfiffig, in die Tiefe gehend und ohne jedes oberlehrerhafte Gehabe.

Sogar schwierige Interviewsituationen meistern sie mit scheinbar müheloser Leichtigkeit. So auch vor zwei Tagen. Da war Alexander Makogonow, der Sprecher der russischen Botschaft in Frankreich, im Studio zu Gast. Und obwohl er bei dieser Gelegenheit die ganze Lügenlitanei herunterrasselte, mit der der Kreml seinen Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine zu verschleiern versucht, bestand aufgrund der klugen Fragen des Moderators am Ende nicht der geringste Zweifel daran, wer hier der Täter und wer das Opfer ist.

Das mag jetzt paradox klingen: Aber es gibt Situationen, in denen die Wahrheit am ungeschminktesten im Gewand der Unwahrheit daherkommt. Das geschieht nicht oft. Aber hier war das eindeutig der Fall.

Ich erzähle auch deshalb von diesem Radiogespräch, weil ich weiß, wie aufgeregt Anfang April in der Twitteria ein Interview kommentiert wurde, das Robert Treichler vom Nachrichtenmagazin „Profil“ mit dem russischen Botschafter in Wien geführt hat. Auch in diesem Fall ließ die Gesprächsführung keine Fragen offen. Trotzdem überwogen die Stimmen, die meinten, dass man dem Abgesandten des Kremls nicht diese Plattform hätte bieten dürfen.

In Frankreich ist man von solchen Zwängen weitgehend befreit. Eine der historischen Errungenschaften der Französischen Revolution ist eine lebendige republikanische politische Kultur, die bei allen Mängeln auf einem Grundvertrauen in den kritischen Geist und die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger beruht.

Das heißt nicht, dass diesem Ideal stets entsprochen wird. Und schon gar nicht, dass Medien sich nicht die Frage zu stellen haben, wie sie mit Fake News umgehen. Im Gegenteil. Diese Aufgabe bleibt zentral. Aber etwas mehr Glaube in die individuelle Urteilskraft und etwas weniger paternalistische Bevormundung würden auch uns nicht schaden.

Die Leute sind demokratiepolitisch reifer, als viele meinen. Daran möchte ich sogar glauben, nachdem ich den jüngsten Tweet von Ulrike Guérot gelesen habe. Darin erklärt die deutsche Politologin als Reaktion auf Waffenlieferungen in die Ukraine, dass der „ungerechteste Frieden“ besser sei als der „gerechteste Krieg“.

Als Professorin für Europapolitik an der Universität Bonn sollte sie es eigentlich besser wissen. Sie sollte wissen, dass die europäische Geschichte genau das Gegenteil lehrt. Dass nämlich in den seltensten Fällen ein ungerechter Friede Bestand hatte. So existiert unter Historikern heute ein breiter Konsens darüber, dass erst der Vertrag von Versailles Adolf Hitler den Weg ebnete. Spinnt man Guérots Argumentation weiter, dann hätte man auch die Nationalsozialisten nach dem Überfall auf Polen 1939 einfach weiter gewähren lassen müssen. Schließlich ist ein ungerechter Friede besser als ein gerechter Krieg, oder?

Tatsächlich frage ich mich, was bedenklicher ist: ein Interview mit einem russischen Diplomaten, der sich durch die eklatante Offensichtlichkeit seiner Lügen selber entlarvt, oder der Sofa-Pazifismus von manchen komfortabel unter dem Schutzschild der von ihnen verachteten USA lebenden Linken, die sich aus lauter Furcht vor einer Eskalation zu Putins willigen Helfershelfern im Westen machen?

Der Krieg in der Ukraine überschattet derzeit jedenfalls noch immer fast alles – auch die triste Situation der Frauen in Afghanistan, denen von den Taliban jetzt wieder die Burka aufgezwungen wurde. Was das für sie konkret bedeutet, können Sie im Interview nachlesen, das meine Kollegin Anna Stockhammer mit ARD-Korrespondentin Natalie Amiri geführt hat.

Mit herzlichen Grüßen,