Ich weiß nicht, wer Wolfgang Sobotka ist. Ich kenne zwei Sobotkas. Sie treten einem wie zwei diametral entgegengesetzte Welten gegenüber. Mit Ambivalenz hat das nichts mehr zu tun. Das ist mehr. Eine verstörende Disparität. Der eine Sobotka ist der musische, weiche Sobotka, der Geschichtskundige und authentisch Sensible. Das letzte Mal bin ich ihm begegnet, als er auf der Fahrt nach Auschwitz im selben Abteil saß und davon erzählte, wie er als Jugendlicher mit der Geschichte seiner belasteten Vorfahren konfrontiert worden sei, wie er sich die Familiengeschichte in einem wilden Emanzipationsakt von der Seele schrieb. Eröffnung der Landesausstellung auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers. Sobotka sprach vom Antisemitismus, der in ganz Europa im Anschwellen sei und der wieder auf den Bodensatz zurückgedrängt werden müsse, und man spürte mit jeder Silbe, auch später am Podium: Das Thema geht ihm wirklich nahe. Solche Begegnungen gab es mehrere. Da ist etwa die freie Würdigungsrede an Arik Brauer, als dieser im Jüdischen Museum in Wien den Fritz Csoklich-Demokratiepreis erhielt. Auch da: eine Rede von innen heraus. Es war Brauers letzter Auftritt. Der weiche, sensible Sobotka kam auch zum Vorschein, wenn er bei Besuchen in der Redaktion nach Interviews hastig aufstand und um Nachsicht bat: Er müsse zu seinem Waidhofner Kammerorchester, zum Dirigieren. Es sei die einzige Oase im Kalender, unveräußerlich, kein Termin und keine Krise stünden darüber.