Sieben Menschen, die eineinhalb Stunden lang diskutieren, ohne einander das Wort abzuschneiden, die Ehre oder beides, das ist ein seltenes Vergnügen. Konrad Paul Liessmanns Philosophisches Forum hat im ORF am Dienstag zu spätnächtlicher Stunde wieder einmal gezeigt, es geht.
"Erleben wir eine Zeitenwende?", fragte Barbara Stöckl die Gäste, und viel sprach dafür, nicht nur die Pandemie und die Klimakrise. „Der Krieg ist wieder eine Option, und es gibt Personen, die diese Option wählen“, formulierte der Historiker Jörg Baberowski. „Ein einzelner kann den Weltenlauf unterbrechen.“ Das Ende des „Überenthusiasmus“ nach 1989 sieht der Friedensforscher Maximilian Lakitsch als Zeitenwende. Ihm widersprach der Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk: „Ich gehe immer noch davon aus, dass die Zeitenwende 1989 ist.“
Baberowski, Spezialist für die Geschichte der Sowjetunion und der Schreckensherrschaft Stalins, kritisiert das europäische Desinteresse an Osteuropa und fordert eine Horizonterweiterung. „Wir haben nicht verstanden, was es bedeutet, wenn ein Imperium zerfällt. Es dauert, bis es sich entflechtet“, sagte er und warnte vor einseitiger Fokussierung auf den russischen Präsidenten. „Putin kann seine Ressentiments deshalb ins Spiel bringen, weil es einen Resonanzboden gibt, auf dem seine Ansichten schwingen können, eine Sehnsucht nach dem Imperium.“
Im Krieg seien Diktaturen im Vorteil, meint Baberowski: „Wir sind verwundbar durch unsere größte Errungenschaft, die auch unsere größte Schwäche ist: den inneren Pluralismus. Wir müssen mit Leuten umgehen, die kein Interesse haben an dem, was wir für eine Errungenschaft halten.“ Die westliche Einheitsfront, die sich nach Kriegsbeginn in Europa zeigte, hält er für zerbrechlich, sobald es zu ökonomischen Verwerfungen kommt. Pessimistisch formuliert Baberowski: „Ich bin nicht sicher, dass Putin nicht am Ende als Sieger vom Platz geht.“
Es war aber nicht nur ein düsterer Abend unter der Kuppel der Technischen Universität in Wien. Liessmann etwa hellte die Runde mit der Ansicht auf, dass „Demokratien durchaus das Zeug haben, auch mit Krisen fertig zu werden“. Der Vorteil demokratisch getroffener Entscheidungen sei es nämlich, „dass sie auf große Zustimmung stoßen“. Alleinherrscher hingegen lebten gefährlich: „Es sind ja auch schon Autokraten gestürzt worden.“ Die Theologin Regina Polak warnte davor, in der Krise verletzliche Gruppen aus dem Blick zu verlieren, alte Menschen und junge: „Wir müssen positive Bilder entwickeln, weil uns der lange Atem sonst fehlt, die Puste ausgeht.“
Solche Diskussionen sind ein Beitrag dazu, findet
Thomas Götz