Es ist ungefähr 35 Jahre her. Erhard Busek, damals Vizebürgermeister Wiens, war mit Journalisten in Jugoslawien unterwegs, besorgt wegen der nationalistischen Töne, die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften in Belgrad in einem "Memorandum" angeschlagen hatten. Es ging in dem Text um das Kosovo, um den Anspruch, den Serbien aufgrund seiner Geschichte auf die damals autonome Provinz erheben zu dürfen glaubte. Busek wollte sich persönlich von dieser brandgefährlichen Situation ein Bild machen. Uns nahm er mit, damit wir etwas lernen.
35 Jahre später ist Jugoslawien zerborsten, das Kosovo nach Vertreibung, Bombenkrieg und Gräueln aller Art seit 14 Jahren ein Staat und der Traum von Großserbien, den die Akademie und der damalige Präsident Slobodan Milosevic geträumt hatten, zerstoben. Und wieder sind wir mit einer Delegation von Journalisten in Belgrad. Es sollte um die Kosovo-Problematik gehen in den kommenden Tagen, aber die Ukraine schiebt sich vor.
Wladimir Putin hat den Vergleich schon einmal gezogen. Nach der Annexion der Krim 2014 hatte er den Westen höhnisch gefragt, was denn der Unterschied sei zwischen der Ablösung der albanisch dominierten Provinz durch die Intervention der Nato und der Sezession der Krim durch ihn? Dort habe es keiner Gewehre bedurft, spottete er, auch habe sogar eine Volksabstimmung stattgefunden, um die Abtrennung zu legitimieren. "Alle, die stolz darauf sind, Demokraten zu sein, sollen deren Entscheidung respektieren, denn sie ist der höchste Ausdruck der Demokratie – ein Referendum", wiederholte er diese Woche, nach der Annexion der Ostukraine.
Putin beruft sich auf den Internationalen Gerichtshof. Der habe im Fall des Kosovos entschieden, dass "bei der Klärung der Frage der Unabhängigkeit eine Entscheidung der zentralen Regierung dieses oder jenes Staates nicht nötig ist". Wenn das für Belgrad gelte, dann auch für Kiew, argumentiert er.
Österreich, erfahren wir in unserer Botschaft in Belgrad, sei nach Russland und China das beliebteste Land in Serbien. Die beiden Großmächte hatten damals gegen ein UN-Mandat für den Nato-Einsatz gestimmt. Russland verdankt seinen Spitzenplatz vermutlich Putins vehementer Ablehnung der Eigenstaatlichkeit des Kosovo. Nun scheint er die ehemalige serbische Provinz zur Rechtfertigung seiner Gebietserweiterungen in die Waagschale werfen zu wollen. Wie sich die Umkehr seiner Argumentation auf die Beliebtheitsskala auswirken wird?
Was solche Großmachtspiele konkret bedeuten, erzählen uns abends im Hotel Männer und Frauen, die Angehörige im Kosovo-Konflikt verloren haben. 22 Jahre nach dem Verschwinden ihrer Söhne, Schwestern, Brüder oder Ehemänner tappen sie noch immer im Dunkeln, wer die Entführer und Mörder waren. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt der Volksmund. Die Gesichter dieser Überlebenden lassen Zweifel an der Volksweisheit aufkommen.
Genießen Sie einen friedlichen Tag auf unserer Insel der Seligen
Thomas Götz