Kann die Regierung das ungut erhitzte, richtungslose Land aus der Krise führen oder ist sie dazu außerstande, weil sie selbst Teil der Krise ist? Entscheidend für die Klärung ist, ob die ÖVP die Hoheit über ein zielgerichtetes Handeln zurückgewinnt. Das Bild, das die Kanzlerpartei bietet, ist desaströs. Schlüsselakteure wie Sobotka oder Wöginger sind in akuter Bedrängnis. Der Anfangsbonus des Kanzlers, der als integrativer, nüchtern-sachlicher Gegenentwurf zum selbstbezogenen Starprinzip des Vorvorgängers punktete, ist dahin. Die handwerklich blamable Umsetzung der Impfpflicht, von der Lotterie über die Datenerfassung bis zur Verländerung der Ausnahmen, beschädigte nicht nur den indisponierten Gesundheitsminister, sondern auch Karl Nehammers Ruf als Machertyp mit Kommandoerfahrung.
Die Partei mutiert zurück ins alte Elend. Landeshauptleute erliegen während des Kurzurlaubs des Obmanns den eigenen Bedeutungs- und Eitelkeitsschüben und sägen an den Pfeilern des ohnedies brüchigen Gesetzeswerks. Die Partei gleicht wieder einem dissonanten Chor. Sie erscheint als unförmiges Gebilde aus alter, föderaler ÖVP, regierenden Nachlassverwaltern und türkisen Überresten, munter genug, um alte Sprengsätze durchs Exilfenster zu werfen und hinzunehmen, dass durch hinausgespielte Nebenabsprachen nicht nur die Grünen, sondern auch der eigene Kanzler Splitter abbekommt.
Die größte Selbstbeschädigung erwuchs aus verschobenen Grenzen von Standards und Moral. Die ÖVP vermittelt das verstörende Bild einer bürgerlichen Partei, die sich durch jahrzehntelange Teilhabe an Ministerämtern ein Machtverständnis anerzog, das zu Filz, Vetternwirtschaft und Besitzansprüchen geführt hat. Wer ein Vierteljahrhundert ein Ministerium wie das Sicherheitsressort oder die Finanzen innehat, missversteht irgendwann das Öffentliche als parteipolitische Privatsphäre. Die Unkultur der Postenbesetzungen zeugen davon. Man ebnet nicht dem früheren Feldherrn einer Landespartei die sensible Funktion eines Verfassungsschützers. Man schont nicht einflussreiche Gönner bei der Steuerlast. Man schiebt nicht Günstlinge an Kommissions-Attrappen vorbei. Außer, man sagt: Daheim darf man alles.
Das Così fan tutte-Argument trifft zu, taugt aber weder zur Entlastung noch zum hygienischen Neubeginn. Ob der Kanzler diesen von innen heraus glaubwürdig einleiten kann, ist fraglich, aber seine einzige politische Überlebenschance. Gelingen kann die Läuterung nur mit sauberen Bestellungsprozessen und sofortigen Transparenz- und Antikorruptionsgesetzen. Die Flucht in Wahlen, angetrieben vom zittrigen Niederösterreich und der Furcht vor neuen Handy-Schnipseln, wäre angesichts des beschriebenen Außenbilds die Flucht in den Hasard. Das Wahlbündnis aus FPÖ und MFG, stimmenstärker als ÖVP und SPÖ, wäre zu innigem Dank verpflichtet und würde dem gereizten, richtungslosen Land lautstark die Richtung vorgeben.