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Der "Djoker" hat zu hoch gepokert. Novak Djokovic, Erster der Tennisweltrangliste und enfant terrible seiner Zunft, wird bei den Australian Open nicht zur historischen Titelverteidigung antreten. Soeben hat das Bundesgericht von Down Under seinen Einspruch gegen die Annullierung des Visums abgelehnt und den widerborstigen Impfgegner, Esoteriker und Selbstheiler des Landes verwiesen.  

In einer Causa, die vermeintlich nur Verlierer kennt, geht einer trotzdem als Sieger vom Platz: Streaming-Gigant Netflix, der den Showdown in Australien schnellstmöglich zu Cash machen wird. Der Medienkonzern hatte schon vor der unsäglichen Einreiseposse eine Serie über die Tennis-Tour in Auftrag gegeben und nutzte nun die Gunst der Stunde, sein Produktionsteam zum Sportpolitikum des Jahres zu dirigieren, um jede Sekunde des Djokovic-Dramas mit Kameras einzufangen.

Für Netflix könnte sich das Drehbuch nicht besser lesen: Da ist ein Mann, der angefeindet wird, aber ein klares Ziel hat. Der inmitten einer schauerlichen Pandemie seinen Weg gehen will - koste es, was es wolle. Der strauchelt, zu Boden fällt, wieder aufsteht, Hindernisse überwindet und weiterkämpft. Idealer Stoff für Traumfabrikanten, die heutzutage eben Streaming-Anbieter heißen.

Schon vor einiger Zeit erkannten Amazon Prime, Dazn, Netflix und Co., dass der Sport die emotionalsten Geschichten schreibt. Anstelle konstruierter Plots nach dem Strickmuster Hollywoods setzte man also auf Echtzeit-Dokumentationen, die mit ihrem überraschenden Blick hinter die Kulissen nicht nur Fans in ihren Bann zogen. Das Konzept ging auf, inzwischen präsentieren die Mediatheken der Streamingdienste beinahe täglich neue Serien über Sportvereine, Trainerlegenden, Nachwuchshoffnungen und Publikumsmagneten.

Eine Win-win-Situation, für Produzenten wie Protagonisten. Während Netflix & Co. günstig zu packendem Filmmaterial kommen, genießt der Sport einen unbezahlbaren Booster beim Marketing - wie insbesondere Fußballvereine, deren Aktivitäten und Wahrnehmung sich bis dato aufs Wochenendspiel konzentriert hatten, und die über ihre Serienpräsenz nun plötzlich die permanente Möglichkeit zur Markenpflege erhalten.

Die Streamer destillieren aus Sternchen inzwischen filmreife Superstars, der Kampf um Punkte, Meter und Sekunden wird zum Cliffhanger mit Fortsetzung choreografiert. Unter der Regie der Netflix-Mächte werden Helden geboren oder zu Fall gebracht.

Auch bei Djokovic steht das Heldenepos schon fest: Wird der Serbe heute tatsächlich noch den Heimflug antreten, kommt er für seine Landsleute, Coronakritiker und Impfskeptiker endgültig dem vertriebenen Messias gleich. Und sollte er wider Erwarten - vielleicht durch eine schicksalhafte Fügung in letzter Minute - doch noch antreten dürfen und am Ende sogar den 21. Grand Slam-Sieg feiern, wäre das Fernseh-Märchen perfekt.

Elisabeth Zankel

PS: Die Light-Version des australischen Dramas spielte sich gestern unter Eiger, Mönch und Jungfrau ab. Gerade von Corona genesen, raste Vincent Kriechmayr zum Lauberhorn-Sieg und brachte die enttäuschten Eidgenossen zum Beben. Ob sich diese vor dem heutigen Slalom beruhigt haben oder auf Revanche brennen, erfahren Sie live ab 10.15 Uhr.