Man starrt auf das Bild und misstraut den Augen: Ein Schulbub aus Voitsberg sitzt bei Minusgraden im Freien auf einem Sessel und schreibt unter dem offenen Klassenfenster einen Test, getrennt von den Mitschülern. Im Bildtext, anonym verfasst, werden der Empörung die Tore geöffnet: Das Kind sei Opfer schulischer Willkür geworden. Die Leiterin habe das Attest zur Maskenbefreiung zurückgewiesen. So weit komme es im Land.
So wird das Foto mit dem suggestiven Subtext durch den Fleischwolf sozialer Medien gedreht. Impfgegner befeuern die Publizität. Es vervielfältigt sich im Nu, schneller als auf jeder Druckmaschine. Man sieht das Bild, liest den Text und kann sich dem Entsetzen kaum entziehen. Es erging uns in der Redaktion nicht anders, als wir gestern das Foto zugespielt bekamen.
In der Recherche erschließt sich die zweite Erzählebene der Geschichte, die das Foto verbirgt, und der Bildtext erst recht. Die Eltern des Buben kommen ins Spiel. Sie haben der Schule ein Attest zur Maskenbefreiung übermittelt und hatten schon zuvor beschlossen, das Kind aus der Klassengemeinschaft zu nehmen und im Nachbarort anzumelden. Dort darf es mit Schild in der Klasse sitzen. Auf die Teilnahme am Test bestehen die Eltern dennoch. Die Schulleitung wendet ein, die zweifelhafte Maskenbefreiung, ausgestellt von einem Demo-Arzt, erst prüfen zu müssen. Man trage Verantwortung für den Schutz der anderen Kinder. Es sind Hunderte. Anstatt pragmatisch nach einer kleinen Kammer im Inneren der Schule Ausschau zu halten oder für die zwanzig Minuten am Gang einen Tisch aufzustellen, willigt die Schule in den Vorschlag der Eltern ein, den Test ins Freie zu verlegen. Sie beugt sich einem Ansinnen, dem sie auf schulischem Boden nicht hätte stattgeben dürfen. So wird die Schule Beihilfstäterin für eine stigmatisierende und entwürdigende Situation, die man einem Neunjährigen bedenkenlos zumutet. Und: Sie wird fahrlässig, wenn auch unbeabsichtigt Beihilfstäterin für das Bildmotiv. Als Urheber des Fotos entpuppen sich die Eltern, die das Kind von hinten unbemerkt ablichten und das Bild digital in Umlauf bringen.
Es dient als Munition für den pandemischen Glaubenskrieg und landet zahllose Treffer.
So offenbart sich unter der manipulativen Oberfläche eines Schulskandals die deprimierende Geschichte eines Kindesmissbrauchs, und eine dunkle Ahnung sagt: Es ist nicht die einzige in dieser Pandemie.
Schreiben Sie uns, wenn Sie von ähnlichen Fällen wissen, wo Kinder für die ideologische Obsession der Erwachsenen instrumentalisiert und zu schutzlosen Opfern werden, appelliert betroffen.