„Für Nostalgiker könnte der heutige Abend ein Schock sein“, formulierte Kollege Christian Ude in der gestrigen Kleinen Zeitung seine Produktwarnung zum sechsteiligen Sisi-Projekt von RTL, dessen erste Folgen der ORF gestern zeigte. Der Schock beginnt bei der ersten Einstellung, einer Nahaufnahme der großen Zehe der Herzogin in Bayern. Sisi räkelt sich lasziv im Bett und gibt unzweideutige Laute von sich. Ertappt von der Schwester, schleudert sie ihr einen Polster nach, der dem Lakaien das Tablett aus der Hand schlägt. Schnitt.
Hinrichtung ungarischer Aufständischer. Der junge Kaiser gibt mit knapper Geste den Befehl, die Falltür unter dem Verurteilten zu öffnen. „Die Du liebst, sollen elend zugrunde gehen“, schleudert ihm dessen junge Witwe entgegen.
Der harte Einstieg in das Leben der Ehefrau Kaiser Franz Josephs betont den Traditionsbruch: Mit Ernst Marischka und seiner Sissi-Trilogie wird das Folgende so gut wie nichts gemeinsam haben. Könnten Sie sich etwa vorstellen, wie Romy Schneider ihrem Verlobten nach Wien nachreitet, ihn im Bordell findet und seine Edelprostituierte als Kammerzofe anheuert? Oder wie Romy Schneider im tiefen Wald in einen Hinterhalt ungarischer Aufständischer gerät und vom Kaiser eigenhändig vor Vergewaltigung und Tod gerettet werden muss? So gehen keine Sissi-Filme. Sven Bohse, dem Regisseur, sei Dank, dass er es gar nicht versucht hat.
Dominique Devenport ist einewunderbar wilde Sisi, empfindsam, stark und mutig. Jannik Schümann verbindet nichts mit dem staubigen Klischee, das wir uns vom Langzeitkaiser gemacht haben. Er spielt einen jähzornigen, leidenschaftlichen, auch hemmungslosen Machtmenschen, der seinen eigenen Kopf durchsetzt. Lebende Menschen, keine Abziehbilder und Pappfiguren zeigt uns Bohse. Sollten Sie die ersten Teile versäumt haben, nachsehen, es wird nicht fad.
Und bitte nicht vergessen, rechtzeitig aus dem Stream auszusteigen. Nach zwei Sisi-Teilen folgt das Interview mit FPÖ-Chef Herbert Kickl. Er hat wieder alles richtig gemacht, der Staatsfunk fragt nur falsch. Der ehemaligen freiheitlichen Gesundheitsministerin, Beate Hartinger-Klein, die Kickls Empfehlung von Ivermectin gegen Covid „letztklassig und indiskutabel“ genannt hat, spricht er die Kompetenz ab, Martin Thür sowieso. Dann schon lieber Sisi, findet
Thomas Götz