Die Wochen mit der Impfgegnerpost waren schlimm und auszehrend, die Tage wie die Nächte. Das Schlimme und Auszehrende war die Illusion, einen Impfgegner überzeugen oder aus der zusammenzitierten Wirklichkeit herausführen zu können. Geht nicht. Hat ein bisschen lang gedauert bei mir. Die Einsicht war bitter, aber auch ein bisschen befreiend, aber das sage ich nur hier, weil wir unter uns sind. Richard David Prechthat im deutschen Frühstücksfernsehen die Erklärung geliefert, ich hab beim Pseudo-Treten vor dem Schirm fest genickt: Den Impfgegnern, hat er gesagt, gehe es nicht darum, die Wahrheit herausfinden zu wollen. Sie wollen recht haben. Ihr ganzes Selbstwertgefühl hänge an diesem Rechthaben. Sie möchten nicht die Wahrheit wissen, Sie haben sie schon. Und nicht nur das, so Precht: "Sie gefallen sich in der Rolle von Erleuchteten, Erhabenen, getragen von der Gewissheit, als einer der ganz, ganz Wenigen auf dieser Welt alles zu durchschauen". So einer sei nicht empfänglich für Argumente, das erlaube die psychische Grundstruktur nicht.
Ich glaube, Precht hat recht. Seit ich glaube, dass Precht recht hat, ist das Postmachen nicht mehr die Hölle. Außerdem müsste man das Wort Impfgegner in der Zeitung ab sofort gendern. Ein Impfbefürworter, der aus sprachästhetischen Gründen leidenschaftlich gegen das Gendern ist, schrieb mir das dieser Tage. Bei der Impfgegnerschaft sei er dafür, nur da. Es sei zu weiten Teilen eine Frauenbewegung, eine weibliche Rebellion geworden, eine Art Belarus ohne Lukaschenko, ob ich die Wahrnehmung teile. Hat was. Seit ein paar Tagen hisse ich übrigens in den Antwortschreiben die weiße Fahne, von langmähnigen Precht inspiriert (Herr Minister, lassen Sie sich Ihre ja nicht ausreden!).
Seither geht es mir wieder gut. Schreibt jemand: Ich wünsche Sie vor das Jüngste Gericht, und zwar auf der Stelle, antworte ich: Geben Sie mir noch ein Jährchen. Schreibt jemand: Sie gekauftes Mainstreamschmierblatt Sie, erwidere ich: Ja, ganz recht, was glauben Sie, wie viel wir kosten? Es kann auch sein, dass ich mich bei besonders temperamentvollen Beleidigungen mit einem dürren Satz von der Bachmann aus „Malina“ empfehle: „Wenn ihm nichts mehr half, half ihm nur noch die Schmähung“. Aber das war gegen die Männerwelt geschrieben. Es ist übrigens auch schon passiert, wenn es richtig, richtig tief hinunter geht, dass die Antwort ins Surreale und jenseitig Paradoxe kippt, was echt daneben ist und ein Hinweis auf einen besorgniserregenden Gemütszustand, ich weiß. Ohne, dass mir das Gegenüber einen Gruß entboten hätte, antworte ich statt einer Antwort nur mit den Worten: „Ihnen auch ein frohes Fest.“ Meist ist dann Friede.
Gestern muntere Debatte in der Redaktion, ob wir in der gedruckten Zeitung zur Abwechslung mit etwas schwerelos Banalem nach vorne gehen sollten, und die Frage war: mit Salzburg oder mit dem Schnee. Ich war für Salzburg und brach ein wie beim morgendlichen Schaufeln. Nur den Leitartikel von Hubert Gigler (lesen!) konnte ich retten. Apropos Salzburg: Schicke Ihnen als kleinen Gruß für den Tag ein Bild der gestrigen nicht erschienenen Titelseite. Sie flog wegen der Salzburger spät nachts aus dem Blatt, obwohl wir auf die Titelseite fast so stolz waren wie auf den Salzburger Jugendstil. Österreich als Fleckerlteppich im Pandemiemanagement, ein echter Fleckerlteppich mit den Umrissen des Landes, so, wie er in alten Bauernhäusern heute noch zu sehen ist.