Auch wenn unsere Kinder (leider) lange schon jenem unwiederbringlichen Lebensabschnitt entwachsen sind, in dem man noch an Wunder glaubt, bestehen sie weiterhin darauf, dass ein Nikolaus zu uns kommt. Dieses lieb gewordene Ritual soll weitergehen – vor allem auch im Hinblick auf unsere vier Enkel. (Der Krampus fiel unter den Bann der schwarzen Pädagogik und hat richtigerweise Hausverbot.)
Der Nervenkitzel für Astrid und mich ist freilich nicht mehr ganz so groß wie früher, als der Besuch des Heiligen aus Myra jedes Mal aufs Neue für Spannung sorgte: Strahlt er himmlische Würde aus oder verrät sein Dialekt eine gewisse Bodenständigkeit? Improvisiert er oder hält er sich an die von meiner Frau für jedes Kind verfassten Plus/Minus-Listen? Kommt wieder ein selbst ernannter Pädagoge wie vor vielen Jahren, der sich weigerte, auch nur ansatzweise milden Tadel aus seinem goldenen Buch vorzulesen? Ist es ein Anfänger oder ein Routinier?
Vor vielen Jahren hatten wir eine Nikolofeier, die mir als ziemlich turbulent in Erinnerung geblieben ist. Unter dem prächtigen Bischofsornat verbarg sich offensichtlich ein Schauspielstudent. Er überflog nur mit einem flüchtigen Blick die ihm ausgehändigten Blätter, um in freier Rede seinen Auftritt zu inszenieren. Mit dem Ergebnis, dass er die (zugegebenermaßen vielen) Namen und die ihnen zugehörigen Vorzüge und (kleinen) Schwächen völlig durcheinanderbrachte. So wurde etwa mein Ältester, ein liebenswerter, aber unverbesserlicher Chaot, für seinen Ordnungssinn gelobt, was seinen Brüdern Anlass zu anhaltender Heiterkeit bot. Die Kleinen hingegen schienen doch ein wenig irritiert. Jakob etwa wurde dafür gelobt, dass er immer so schön seine Aufgaben macht. Jakob war damals allerdings erst drei Jahre alt.
Als sich beim Abgang des Heiligen seine Mitra im Gewirr der zahllos von der Decke unseres Wohnzimmers hängenden Englein, Glöcklein und Äpfelchen verhedderte und bedrohlich schwankte, hatte das Fest einen unbeabsichtigten Höhepunkt.
Nikolofeier anno dazumal: immer noch da, und doch namenlos fern.
Gottfried Hofmann-Wellenhof