Einst entspann sich am ersten Adventsonntag um die Frage „Wer darf die erste Kerze anzünden?“ eine nicht wirklich besinnliche Diskussion. Zu guter Letzt ergab sich ein Handgemenge zwischen unseren beiden Jüngsten, in dessen Verlauf ein Kerzenständer, ein lieblich lächelnder Engel, in Dutzende Stücke zerbrach. Dennoch konnte der kleine Zwischenfall die vorweihnachtliche Stimmung nicht beeinträchtigen.
Anderntags kam Jakob aufgeregt aus der Schule nach Hause. Er tat sehr geheimnisvoll: „Was glaubst du, habe ich hinter meinem Rücken?“ Ich tippte auf ein Schularbeitenheft mit einem Einser. Es war aber – ein Kerzenständer. Der gleiche, der am Vortag zu Bruch gegangen war.
„Weißt du, Papa, die Sophie hat nichts dafür können. Ich war schuld. Und deshalb hab´ ich ihn nachgekauft.“ Mein kleiner Sohn war mit sich und der Welt zufrieden. „Das war wirklich sehr lieb von dir“, sagte ich, „wie viel hat der Engel denn gekostet? Ich zahl’ dir die Hälfte dazu.“
Jakob lehnte entschieden ab.
Kurz darauf holte ich Sophie von der Flötenstunde ab. „Du kommst nie drauf, was ich in meiner Schultasche hab’“, rief sie im wunderschönen Gefühl der Vorfreude, mir gleich eine Überraschung präsentieren zu können. Ich dachte an ein Wichtelgeschenk. „Falsch, Papa, ganz falsch.“ Daheim öffnete sie langsam und feierlich ihren Ranzen. Ich sah etwas Goldenes in ihrer Hand blitzen: Es war ein Kerzenständer. „Irgendwie war es nicht richtig, dass du nur mit dem Jakob geschimpft hast. Ich war genauso schuld. Ich hab’ in der Schule immer dran denken müssen, und als sie aus war, bin ich ins Geschäft gefahren und hab Gott sei Dank den gleichen Kerzenständen gefunden.“
Verzeihen Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese etwas kitschig anmutende Begebenheit. Aber sie hat sich genauso zugetragen. Und wann, wenn nicht im Advent, kann man eine Geschichte erzählen, die einem das Herz wärmt. Von zwei Kerzenständern, die nie verwendet werden dürfen und einen Ehrenplatz erhalten haben: Ganz oben auf der Kredenz, wo sie sicher sind vor dem ungestümen Zugriff kleiner Kinderhände.
Gottfried Hofmann-Wellenhof