Ein kleiner Rückblick: Wir schreiben Mitte Mai dieses Jahres, das Ausseerland begann gerade aufzublühen. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer hatte seine acht Amtskollegen ins steirische Schmuckkästchen geladen, um am Fuße des mächtigen Losers das Öffnen des Landes und die Bewältigung der Pandemie zu zelebrieren. Altausseer- und Grundlsee glitzerten um die Wette, als die Länderchefs von „beträchtlichen Durchimpfungsraten“, „baldiger Herdenimmunität“ und dem „Ende der Einschränkungen“ schwärmten. Einzig Michael Ludwig, der Mahner aus der Hauptstadt, fiel unangenehm auf, indem er inmitten der Jubelstimmung betonte, man möge die empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen weiter beachten. Dem Optimismus der Runde tat dies jedoch keinen Abbruch, denn das Narrativ schien ihr gewiss: Die Weichen sind auf Volldampf gestellt - hinter uns Corona, vor uns der Aufschwung!
Szenenwechsel nach Tirol. Ein halbes Jahr später erkor auch der neue Vorsitzende der Länderversammlung, Günther Platter, einen prächtigen See zum Tagungsort aus. Doch diesmal harmonierte das helle Gewässer nicht mit der Laune der Landesfürsten. Dunkle Wolken zogen auf, als man am Ufer des Achensees zusammenkam – allerdings nur im kleinen Kreis, hatten sich Thomas Stelzer und Wilfried Haslauer doch kurz zuvor in der Krisenkommunikation verausgabt und zur Schonung aller Nerven auf persönliche Präsenz verzichtet. Ihre Plätze im nächtlichen Ringen um Kontaktbeschränkung beanspruchten Gesundheitsminister und Kanzler, die kurz danach, in der Kraftlosigkeit des Spätherbstmorgens, Lockdown und Impfpflicht verkündeten.
Düsternis zog sich durch die Bilder vom Achensee. Die Protagonisten wirkten verunsichert, zerzaust, sogar ein wenig zerknirscht. Nichts mehr zu sehen von der Euphorie des Frühsommers, ab dem man – vielfach propagandistisch und affirmativ populistisch – zu wenig Sorgsamkeit walten ließ. Verschwunden auch die Gewissheit, derer man sich im Salzkammergut noch in großen Dosen bedient hatte. Nun hat das Virus die Politik der Missachtung bestraft, sich mit voller Kraft zurückgemeldet und alle Thesen und Tabus auf den Kopf gestellt.
Obgleich die Wissenschaft mit mehreren Impfstoffen in Rekordzeit ein Exit-Szenario lieferte, ist uns die Pandemiebekämpfung entglitten. Mit Gleichmut ließ man Wochen und Monate stagnierender Durchimpfung passieren, sah gelassen über die aggressivere Delta-Variante hinweg, verzichtete auf 3G am Arbeitsplatz und verabsäumte, sich weiterhin mit Impfvorreiter Israel auszutauschen. Jetzt bekommen wir die Rechnung präsentiert: Strenge Distanz und unerträgliche Unsicherheit werden die nächsten Wochen prägen. Eine beklemmende Situation, denn niemand getraut sich mehr zu prognostizieren, was wirklich kommt. Während Staaten mit Impfquoten jenseits der 80 Prozent längst ihre Freiheiten feiern, schrecken die Experten hierzulande sogar davor zurück, diesen Lockdown der Nachlässigkeit als den ultimativ letzten zu bezeichnen.
Übrig bleiben zahllose Fragen: Wird die Ausgangsperre die vierte Welle brechen können? Werden sich die Zögerer und Zauderer von der angedrohten Impfpflicht beeindrucken lassen und vorab in Scharen zum Erststich drängen? Kann die Verhängung von Strafen auch klare Verweigerer bekehren oder wird deren Protest noch radikaler in die Gesellschaft getragen? Und wo stehen wir in einem Jahr – am Ende noch immer inmitten der Krise? So bitter die Erkenntnis auch ist, auf eines können wir uns in dieser Situation jedenfalls verlassen: Gewissheiten gibt es nicht.
Auch wenn es nur eine Prognose ist – heute sollte uns zumindest die Sonne vom Himmel lachen. Genießen Sie also den Tag, herzlich,