Vor vielen Jahren entspann sich auf dem Friedhof folgende Diskussion zwischen meiner damals 6-jährigen Tochter Anna, meinem jüngsten Sohn Jakob (4) und mir. Kurz vor dem Grab meines Vaters winkt sie zum Himmel hinauf. „Warum winkst du?“, frage ich. „Damit mich dein Vater sieht“, antwortet sie. Nun schaut auch Jakob lange nach oben, dann schüttelt er den Kopf: „Ich kann ihn nicht sehen.“
Geduldig erklärt ihm die ältere Schwester, dass sie ihn auch nicht sieht: „Aber er sieht uns.“ – „Wo im Himmel ist eigentlich Papas Vater?“ Anna überlegt eine ganze Weile, ehe sie erwidert: „Ich müsste eine Riesenhand haben, dann könnt ich ihn dir zeigen.“ Daraufhin fragt sie mich: „Gell, Papa, alle Menschen müssen sterben?“ – „Ja, Anna.“ – „Du auch, Papa?“ – „Ich auch.“ – „Ich mag aber nicht, dass du stirbst.“ Und nach einer Pause: „Warum müssen alle Menschen sterben?“ – „Weil der liebe Gott es so will.“ – „Warum will er es?“ Ja, warum? Ich bin ziemlich hilflos und unsicher: „Schau, wenn man alt ist und nicht mehr gut gehen kann, mag man vielleicht gar nicht mehr länger leben.“ Pause. „Aber der Urlo war auch schon ganz alt und hat noch immer gut gehen können.“ Und Jakob fügt ernst und mit großer Sachkenntnis hinzu: „Der hat einen schönen Tod gekriegt. Er ist eingeschlafen und war schon über 100.“ Wir zünden Kerzen an und stellen sie aufs Grab. Ich beobachte meine Kinder, wie sie mit dem Feuer spielen, und bete, dass ich niemals das Grab eines meiner Kinder besuchen muss.
„Wenn die Mama tot ist und du tot bist, bin ich ganz allein. Ich mag aber nicht allein sein“, bricht Anna das Schweigen. „Dann hast du vielleicht auch Kinder und bist nicht mehr allein.“ – „Aber wenn ich tot bin, dann bin ich ganz allein. Ich mag nicht ganz allein in einem Grab liegen. Ich möchte im Grab von deinem Vater sein, dann hab ich wen zum Reden.“
Lange Pause. Plötzlich sagt sie: „Ich freu mich schon auf den Himmel. Da seh ich dann den Urlo und die Urli und deinen Vater.“ – „Und unsere Katze“, ergänzt Jakob. „Papa, kaufst du uns jetzt eigentlich Kastanien?“
Gottfried Hofmann-Wellenhof