Bis zum Samstagabend war auf der Titelseite eine Karikatur geplant, die auf eine berühmte Szene aus dem Filmklassiker „Sie wissen nicht, was sie tun“ Bezug nahm. Im Mittelpunkt steht ein sensibler Rebell, gespielt von James Dean. Er lässt sich mit dem Rivalen auf einen Hasard ein: Beide rasen auf eine Klippe zu. Wer zuerst aus dem Wagen springt, verliert und ist der neue Feigling. Der schicksalhafte Sog der verrückten Tat wies zuletzt dramaturgische Parallelen zum Nervenpoker zwischen Sebastian Kurz und Werner Kogler auf, aber der cineastische Vergleich hatte zum Glück Grenzen. Die Handelnden steuerten auf einen Bruch zu, nutzten aber die Zeit, um innezuhalten. Vor allem der Kanzler sah ein: Es ging nicht um Feigheit und Mut, sondern um Vernunft und Verantwortung.
Auf grüner Seite lag diese in der Drosselung des moralischen Überschwangs und im Bekenntnis, an der Regierung festzuhalten. Sie bleibt die Allianz der Wahlsieger. Gleichzeitig war es nachvollziehbar, dass der Koalitionspartner aufgrund der Schwere des ruchbar Gewordenen nicht bruchlos mit dem beschädigten Kanzler weitermachen konnte. Es hätte die Grünen zerrissen und mit ihnen die Koalition: der dritte Bruch in vier Jahren. Koglers Drängen auf einen Amtsverzicht war gerechtfertigt. Man sah, wie schwer Kogler die Entschlossenheit fiel. Das gute Verhältnis zwischen den beiden hatte das Bündnis überhaupt erst möglich gemacht und hielt es in heiklen Momenten zusammen. Kogler trägt die Lösung mit. Dass Kurz zur Seite tritt, ohne ganz zurückzutreten, war auch seine Formel.
Sebastian Kurz war als Regierungschef handlungswillig, aber nicht mehr handlungsfähig. Er musste das Selbstbild, das er noch abends zuvor von sich gezeichnet hatte, revidieren, gegen sein Naturell. Die Landeshauptleute unterstützten ihn dabei. Sie überwanden ihre falsche Loyalität. Das ist achtbar. Aus dem höchsten Amt heraus als Beschuldigter die schweren Vorwürfe abzuwehren, hätte bedeutet, die Beschädigung des Amtes in Kauf zu nehmen. Bei den Ermittlungen zur Wahrhaftigkeit der Aussagen vor dem U-Ausschuss ging es noch um die interpretatorische Spitzfindigkeit, ob der Kanzler über eine zwielichtige Postenbesetzung aktiv oder passiv Bescheid wusste. Jetzt aber geht es nicht um die Auslegung einer doppelten Verneinung, sondern um tätige Niedertracht, die einzig dem Fortkommen des Beschuldigten diente. Es sind Vorwürfe, deren Substrat das demokratische Gemeinwesen zersetzt, um Lug und Trug, vom Steuerzahler mitfinanziert und von einem Gratismedium als Geschäft publiziert: um Täuschung also, die die Partei ins Blendwerk miteinbezog. Nicht zufällig nannte man das schamlose Treiben intern das „Beinschab-Österreich-Tool“. Ein Tool ist ein Werkzeug. Alle waren Werkzeug.
Die Partei hat Kurz eine Überfülle an Macht übertragen. Jetzt hat sie der Lichtgestalt, über der ein Schatten liegt, die Macht genommen, wenn auch abgefedert. Kurz bleibt Klubchef im Parlament, einem Ort, an dem er sich nicht besonders heimisch fühlt. Er bleibt von dort aus stiller Mitregent, wie still, wird sich weisen.
Die ÖVP musste den Schutzwall, den sie hochzog, öffnen. Den Beschuldigten konnte sie damit an der Spitze nicht schützen, aber sie hat die Schutzpflicht gegenüber der bürgerlichen Selbstachtung und dem Ruf des Landes wahrgenommen, auch gegenüber dem Regierungsprojekt und seinen ersten, großen Weichenstellungen. Es ist im Interesse des Landes, dass die Arbeit fortgesetzt wird. Außenminister Alexander Schallenberg ist ein loyaler Wegbegleiter von Kurz, aber fernab des moralisch diskreditierten Slimfit-Milieus. Dass Neuwahlen abgewendet wurden, dient dem Land. Es kann sich einen Stillstand in der fragilen Krisenlage nicht leisten. Wahlen wären keine Läuterungsoption gewesen. Dasselbe hätte für ein knallbuntes Anti-Kurz-Bündnis mit der radikalisierten FPÖ gegolten: das Ressentiment als Klammer. Es wäre die Fortsetzung des U-Ausschuss-Umtrunks mit politischen Mitteln gewesen. Zum Glück blieb es ein Wunschbild.