Frage ich meine Kinder nach ihren spannendsten Ferienerlebnissen, erzählen sie beinahe immer davon, wie etwas schiefgegangen ist oder zumindest fast schiefgegangen wäre: von der riesigen Sandburg, die kurz vor ihrer Vollendung von einer Welle fortgespült wurde, von der Heimreise, als Hagelschloßen in der Größe eines Tennisballs aufs Autodach trommelten oder von der Skitour, die abseits von den Pisten in einem Graben endete. Während ich mich als Erwachsener meist gegen alles Unvorhersehbare ab- und versichere, wollen Kinder Abenteuer. Selbsterfahrenes, nicht nur Erlesenes oder Erglotztes. Abenteuer sind für Kinder Leuchttürme im Meer der Langeweile. Viel zu selten machen wir Erwachsenen uns ein Bild davon, wie viel Zeit ein Mensch im Verlauf seiner Kindheit mit Warten zubringt, wie viele Stunden er Tag für Tag einfach totschlagen muss. Mit Stillsein und Bravsein und unerschütterlichem Hoffen, dass irgendwann doch wieder irgendetwas passiert.
Wie oft haben wir es eilig, laufen unsere Kinder notgedrungen neben uns her, verzweifelt bemüht, mitzukommen. Wenn sie versuchen stehen zu bleiben, weil sie etwas entdeckt haben, zerren wir sie weiter: „Komm schon, wir haben keine Zeit. Die Geschäfte sperren gleich.“ Die Zeit vergeht zu schnell, bis Kinder groß werden und nicht mehr stehen bleiben, wenn sie einen seltsamen Käfer gesehen haben; wenn sie herausfinden wollen, woher das unbekannte Geräusch kommt; wenn sie gebannt dem Flug eines Vogels folgen oder dem faszinierenden Manövrieren eines Baggerfahrers. Bald haben sie sich – allzu früh – eingereiht in die lange Kolonne der Erwachsenen, die im gleichen Rhythmus durchs Leben hetzen, gepanzert gegen die kleinen Wunder des Alltags.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Dutzend Steine, gesammelt von meinem damals 12-jährigen Sohn auf unseren Ausflügen. Es ist schon viele Jahre her, aber ich sehe ihn noch genau vor mir, wenn er mit vollen Händen und Hosentaschen zurückgekehrt ist und sie stolz und glücklich vor mir aufgelegt hat. Heute sammelt er keine Steine mehr – doch für uns beide sind sie Bruchstücke gemeinsamer Erinnerung.
Gottfried Hofmann-Wellenhof