Als die Todesmeldung auf dem Handy bimmelte, war die Zeitung so gut wie fertig. Als Aufmacher hatten wir die neuen Mauern gewählt, die in Europa und nicht nur dort aus dem Boden sprießen, um Menschen von der Wanderung abzuhalten. Die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen im Newsroom waren sich einig: wir titeln mit dem Bild des Toten, der eine Ära mitgeprägt hatte. „Charlie Watts, 1941 – 2021“ steht dort jetzt in edler Schlichtheit.
Im Sommer 2006 hatte ich ihn in Berlin erlebt. Die Fußball-WM war gerade überstanden, die Stadt noch im Taumel. Man war hinter Italien und Frankreich Dritter geworden, fühlte sich aber als „Weltmeister der Herzen“. Da kamen sie.
Bis kurz vor dem Konzert war unklar, ob Keith Richards dabei sein würde. Er war von einer Kokospalme gestürzt, im Club-Resort auf Wakaya, einer der Fiji-Inseln. Das klang wenigstens exotisch, wenn auch allerorten Zweifel an der Version laut wurden. Im riesigen, nicht ausverkauften Olympiastadion schwenkten Fans eine aufblasbare Palme über den Köpfen, als spöttische Sympathiekundgebung für den damals 63-jährigen Haudegen. Um den zwei Jahre älteren Charlie Watts, der damals gerade Kehlkopfkrebs überstanden hatte, machte sich niemand Sorgen.
Die Band schien ihre besten Tage hinter sich zu haben. Die Platte zur Tour „A bigger bang“ verkaufte sich in Deutschland nur schleppend und auch der Kartenverkauf lief eher stockend. Die Herren waren in die Jahre gekommen, aber noch nicht alt genug, um Massen anzulocken, die sie noch oder wenigstens einmal sehen wollten. Eine gute Chance für ein antizyklisches Investment - immerhin 189 Euro.
Die Bühne ist 25 Meter hoch. Riesige Videowände vergrößern die Gesichter der winzigen Menschen ins Gigantische. Der Sound klingt bamstig, wie leider immer bei Stadionkonzerten - ein rätselhaftes Ärgernis in Zeiten höchstentwickelter Verstärkeranlagen. „I rode a tank, held a general’s rank, when the Blitzkrieg raged and the bodies stank“, singt Mick Jagger im Laufschritt auf dem riesigen Laufsteg im johlenden Menschenmeer. „Sympathy for the devil“ - wie das grandiose Lied in dieses Haus passt, das 1936 für Hitlers Olympische Spiele entstanden war.
Einzig der noble Herr am Schlagzeug verlässt seinen Platz an diesem Abend nie. Stoisch sitzt Watts hinter seiner Batterie und trommelt routiniert durch den Abend. Auch sonst galt er als der stetigste der Vier: Seit 1964 war Watts mit seiner Frau verheiratet, der Künstlerin Shirley Watts, liest man in Nachrufen. Ob es noch einen Superstar in diesem Hochdruckberuf gibt, der solches von sich sagen kann? Möge die Erde ihm leicht sein. Und bitte lesen Sie den Nachruf von Bernd Melichar, er kennt sich aus, rät
Thomas Götz