In Indien. In Kerala, einem kommunistisch regierten Bundesstaat im Süden. Mit wiegenden Palmen, schönen Stränden, freundlichen Menschen und der höchsten Alphabetisierungsrate Indiens: 95 Prozent.
Ausgerechnet hier wird mein Reise-Albtraum wahr: Ich habe nichts mehr zu lesen. In meinem Fall heißt das: Ich schwanke zwischen Wutanfall und Panikattacke. Ich würde auch ein Telefonbuch akzeptieren.

Übellaunig flaniere ich die Küstenlinie entlang. Und plötzlich stoße ich auf eine Fata Morgana, die beim Näherkommen auf ein kleines Wunder schrumpft: Am Strand steht eine kleine Bücherhütte, die Regale bummvoll. Betrieben wird sie von einem Sadhu in voller Montur, also in Safranrobe, mit wallendem Bart, verfilztem Haar, mit allerlei Farben im Gesicht und Dreizack in der Hand. Ich weine vor Glück.
Ich wühle mich durch den Bestand und entscheide mich schließlich für „Black Love“, erotische Storys von afrikanischstämmigen AutorInnen. Das Bändchen ist mehr als gebraucht. Der Umschlag knittrig wie Elefantenhaut. Die Seiten etwas zerfleddert. Im Frontispiz finden sich Einkaufslisten.

Was es denn kosten solle, frage ich den Herren, in dessen Branche mir schon einige Schlitzohren begegnet sind.
Acht Dollar, erwidert er.
Ich drehe das Buch und lese: Price in the US: 8 $.
Aber das ist doch der Preis für das neue Buch, sage ich empört.
Ja, erwidert der Sadhu, aber für Sie ist es ja wohl neu.
Ich hole kurz Luft und muss dann lauthals lachen: Der gute Mann hat mich daran erinnert, was ich eigentlich suchte. Neuen Lesestoff und nicht bibliophile Wertstücke. Ich nahm das Buch und gab ihm neun Dollar.