Jetzt baut sie sich wieder in monströser Größe auf, die Frage, wer human und wer inhuman ist. Und ob jene, die nach dem Brand im Flüchtlingscamp auf Lesbos die Aufnahme von Minderjährigen fordern, automatisch zu den Guten zählen, alle anderen zu den Herzlosen. Zu jenen, über die sich die Guten moralisch entrüsten können. Ja, Entrüstung ist gerechtfertigt, sie trifft allerdings auch viele, die jetzt „kampfbereit“ die Aufnahme von Flüchtlingen fordern. Wie oft und wie laut wird die Stimme für jene erhoben, die still sterben? Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an den Folgen von Unterernährung. Da fehlen aber die Scheinwerfer, da fehlt der Aufschrei. Es muss brennen wie in Moria, es müssen sich wie im März an der griechisch-türkischen Grenze wilde Szenen mit Flüchtlingen und Wasserwerfern abspielen, damit EU-Regierungschefs und andere rufen „Kinder brauchen jetzt unsere Hilfe“. Ob sie es nicht wussten, bevor das überfüllte, menschenunwürdige Camp auf Lesbos niederbrannte? Moralische Entrüstung, ätzte der Kabarettist Helmut Qualtinger, sei auch der Heiligenschein der Scheinheiligen.