Im März 2019 wurden im neuseeländischen Christchurch in zwei Moscheen 51 Menschen ermordet. Im Oktober erschoss in Halle in Sachsen-Anhalt ein Mann, der sich eigentlich Zugang zu einer vollen Synagoge verschaffen und dort ein Blutbad anrichten wollte, zwei Wildfremde auf offener Straße. Nun insgesamt elf Tote im hessischen Hanau – neun davon Menschen mit Migrationshintergrund, die anderen beiden der Täter und seine Mutter.
Die Frage, die sich stellt, nein, zwingend stellen muss: Lässt sich im Unbegreiflichen etwas wie ein Muster festmachen? Etwas, woraus Ermittler lernen und in weiterer Folge Schutzdämme errichten können? Wie lässt sich dieser Abgrund ausleuchten? Noch ist es zu früh, eine abschließende Bewertung der jüngsten Gewalttat und seiner genauen Hintergründe vorzunehmen. Auf Basis des völlig kruden, 24-seitigen Manifestes des 43-jährigen Täters lässt sich aber doch einiges an Schlüssen festmachen: Irgendwo zwischen Hass auf all das nicht im eigenen Weltirrbild Vertretene und kompromissloser Gläubigkeit an Verschwörung aller Arten dürfte der Mann gependelt sein. Dann schritt er zur Tat. Als Überbau sieht die Bundesanwaltschaft rechtsextremes Gedankengut und Fremdenhass.
Es ist ein hochtoxischer Mix, der sich im eigenen Kopf bestens anrühren lässt – und das meist nicht von heute auf morgen. Die Zutaten finden sich auch und gerade im Netz. Dort wuchert es, kranke Gedanken werden bedient. Die Botschaft des Täters, nicht den "Mainstream-Medien" zu vertrauen und sich stattdessen selbst "Information" zu verschaffen, ist wahnhaft. An einer sinnstiftenden eigenen Existenz vorbeigelebt und direkt in die dauerhafte Verachtung anderer Menschen abgedriftet, so die Vermutung, die hier naheliegen muss.
"Einsame Wölfe", denen es darum geht, möglichst wirkungsvoll möglichst viele Menschenleben auszulöschen, brauchen keine großen Organisationsstrukturen mehr. Sie schrauben sich eine verquere Welt zurecht, deren Verwalter und Herrscher sie schließlich werden. Das Netz feuert sie zusätzlich an – denn ohne Publikum auch nicht die erhoffte Außenwirkung.
Dass der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen prompt in einem Tweet festhielt, die aktuelle Tat habe nichts mit rechter Gesinnung zu tun, sie wurde vielmehr einfach nur von einem "Irren" gesetzt, ist empörend. Es wäre verheerend, Verbrechen wie diese pauschal ohne einen möglichen ideologischen Hintergrund zu betrachten. Ja, in einem gesunden Geist mag die Saat jedweden Extremismus zwar nicht sehr gut aufgehen. Doch: Es ist kein Entweder-oder, es ist Sowohl-als-auch.
Die Menschenspezies insgesamt ist dringend aufgerufen, Intoleranz aus allen Schlagrichtungen wahrzunehmen. Es sind keine vereinzelten Gifttriebe mehr – dafür passieren Gräueltaten wie diese längst zu regelmäßig. Rechtsextremistisch agierende Handlanger werden von einer radikalen Thermik getragen, die schon vorhanden sein muss. Und aus Handlangern werden Täter.