Es ist nicht so lange her, da hat die Schweiz über eine zusätzliche Urlaubswoche abgestimmt und den Sirenenklängen mehrheitlich widerstanden. An einen Schiffsmast gefesselt war niemand. Es war der freie, klare Wille, es nicht zu wollen. Hätte Österreich die Aussicht auf eine solche sozialpolitische Bescherung auch von sich gewiesen?
Zweifelsfrei bejahen lässt sich die Frage nicht. Die Schweizer sind ausgenüchterter, was die Widerstandskraft gegen Versuchungen betrifft, die für den Einzelnen verlockend und für die Volkswirtschaft ruinös sind. Kühle prägt ihr Verhältnis zur Unvernunft. Die Schweizer sind, wie die Geschichte lehrt, nur schwer für sie entflammbar.
Diese Abgekühltheit gegenüber dem eigenen Begehren müssen die Nachbarn erst einüben. Auch deshalb, weil das Begehren im Namen des Volkes sehr oft ein agitatorisches Begehren einer Partei war, also ein Missbrauch. Wenn nun genau diese Partei die Tore zur direkten Demokratie weit aufstoßen möchte, gibt es gute Gründe, ihr den Fuß in die Tür zu stellen. Das heißt nicht, dass das Tor zubleiben soll. Den Willen der Bürger nicht nur alle fünf Jahre zu hören, ist gut und richtig. Es garantiert stärkere Teilhabe an Politik und heilt den Verdruss an ihr. Es lindert das Ohnmachtsgefühl und ist ein wirksames Mittel gegen aufgestautes Wutbürgertum.
Allerdings birgt ein abrupter Schwenk von der repräsentativen zur direkten Demokratie auch Risiken: für die parlamentarische Kultur, die ohnedies unterbelichtet ist. Für die Kultur und das Konsens-Klima im Land generell. Und für die Abwehrkräfte gegenüber autoritären Tendenzen. Plebiszitärer Überschwang kann hier viel anrichten und ins Rutschen bringen. Ein Land, anfällig für eine Politik der Gefühle, lässt sich mit einem unbedachten Systemwechsel leicht dauerhaft unter Rauch setzen. Es ist noch kein Menschenleben her, da ist auf diesem Boden eine Diktatur plebiszitär, im Zustand kollektiven Taumels, besiegelt worden.
Die Schweiz hat als Gegenpol zum Abstimmungsreigen das einigende Konkordanz-System einer Konzentrationsregierung. Sie bündelt oben alle Kräfte, die unten, im Wettstreit der Argumente, aufeinanderprallen.
Dieses Gegengewicht hat Österreich nicht. Es darf sich also nicht einer permanenten Polarisierung aussetzen. Daher müssen Karabiner eingeschlagen werden, ehe man in die Steilwand der Direktdemokratie einsteigt: die Prüfung der Fragen durch Verfassungsrichter etwa. Oder: ein Zehntel der Zeichnungsberechtigten als Voraussetzung, wenn ein Volksbegehren in eine Volksabstimmung münden soll. Und eine 50-prozentige Mindestbeteiligung, damit das Ergebnis politisch wirksam werden kann.
Das alles schützt ein Land noch nicht vor plebiszitären Amokläufen wie in England. Aber es ist ein unerlässliches Rüstzeug, soll das Volk direkt herrschen. Es soll, aber es muss Zügel an sich legen. Es braucht in aufgewühlten, krisenhaften Momenten auch den Schutz vor sich selbst.