Sonnige Novembertage in Urbino. Die Stadt mit ihrem mächtigen Herzogspalast war im 15. Jahrhundert eines der Zentren der italienischen Renaissance. Die Unterkunft, ein altes, aus Ziegeln errichtetes Bauernhaus mit schlichten, sauberen Zimmern, liegt ein paar Kilometer außerhalb in den Hügeln. Drei Frauen schaukeln den Laden. Tery, die Besitzerin, steht in der Küche. Paola macht die Zimmer. Und dann ist da Letizia, die das Service überhat.
Sie ist aus Kalabrien, studiert an der Universität von Urbino Latein und Geschichte und macht mit ihrer ungezwungenen Fröhlichkeit ihrem Namen alle Ehre. Mit natürlicher Grandezza kredenzt sie Brot, Wein und Pasta. Souverän bewegt sie sich am Samstagabend durch die volle Gaststube und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
Nachdem alle Gäste fort sind, räumt sie ab, säubert sorgfältig die Tische, rückt die Stühle zurecht und fegt den Boden, ehe sie nach Hause geht. Zum Schlafen bleibt ihr nur wenig Zeit. In aller Herrgottsfrüh ist sie schon wieder im Haus, richtet das Frühstück für die Gäste, fährt danach an die Uni, übersetzt Ovid, Cicero und Catull und lernt am Nachmittag daheim für ihre Abschlussprüfung. Am frühen Abend steht sie dann wieder im Restaurant, tagaus, tagein.
An Letizia muss ich denken, als die Affäre um den gemeinsamen Jagdausflug des Tiroler SPÖ Chefs Georg Dornauer mit René Benko zum Stüblergut auf dem Gaberl ruchbar wird. Die junge Frau, die hart arbeiten muss, um sich ihr Studium zu finanzieren, ist die idealtypische Adressatin sozialdemokratischer Politik. Ihre Welt ist die absolute Gegenwelt zum luxuriösen Dasein des bankrotten Immobilienjongleurs, mit feudalen Jagden, erlegten Hirschen und geltungssüchtigen Weidmannsfreunden, deren Ego größer ist als ihr politischer Verstand.
In seinen Erinnerungen „All das Vergangene“ schreibt der österreichisch-französische Schriftsteller Manès Sperber (1905-1984), ein abtrünniger Kommunist, der Überfluss der Reichen habe ihn nie beeindruckt, er „habe nie jenen Genossen ganz getraut, die am beredtesten wurden, wenn in ihrer sozialen Empörung der Neid zu halluzinieren begann.“
Diese Haltung gefällt mir. Andreas Bablers Eat the rich-Nummer hat mir nämlich nie behagt. Aber wie viele andere beschäftigt mich schon die Frage, wie jemand, der die größte Pleite in der Geschichte der Zweiten Republik zu verantworten hat und auf dem Papier als mittellos geführt wird, offenbar nach wie vor das Leben eines altungarischen Magnaten führen kann und warum ausgerechnet ein sozialdemokratischer Spitzenpolitiker da in vorderster Reihe mitmacht.
Der Jagdausflug, noch dazu ohne Waffenschein, wird Georg Dornauer wohl das politische Amt kosten. In einem ausführlichen Erklärstück versucht mein Kollege Josef Fröhlich Licht in diese Affäre mit vielen offenen Fragen zu bringen. Vilja Schiretz und Andrea Bergmann leuchten ihre innenpolitischen Aspekte aus. Und Eva Brutmann wirft einen Blick auf den Ort der verfänglichen Pirsch, das historische Stüblergut auf dem Gaberl, das einer Privatstiftung gehören dürfte, die Benkos Mutter zugeordnet wird. „Weidmannsunheil für den Lebemann“ lautet der Titel ihres gemeinsam verfassten Tagesthemas, dessen Lektüre ich Ihnen ans Herz lege.
Es grüßt Sie herzlich,
Stefan Winkler